Israels weihnachtliches Vorzeigedorf, in dem nur Christen leben
In Mi'ilya, einem kleinen Bergdorf im Norden Israels, leben ausschließlich Christen. Unterschiedlichste Strömungen kommen hier zusammen, mitsamt all ihrer Geschichte.
Grau und tief liegt der Dezemberhimmel über Mi’ilya. Doch der kleine Ort im Norden Galiläas zeigt sich am letzten Adventwochenende bunt. Mag der Regen auch noch so stürmisch niederprasseln – es weihnachtet sehr im griechisch-katholischen Bergdorf. Und wie jedes Jahr zieht sein weihnachtlicher Glanz Besucher aus ganz Israel an. In Strömen. Wie der Regen. „Leider nicht aus aller Welt“, bedauert Elias Abu Oksa, Pressesprecher und Weihnachtsmann. Die Pandemie sperrt Touristen aus und Israelis ein. Wer aber zu Silvester nicht nach London oder Paris fliegen darf, dem bleibt Mi’ilya.
Vorsorglich sind die Stände des Weihnachtsmarkts mit Zeltplanen überdacht. Am Vortag liefen fast tausend Teilnehmer beim traditionellen Marathon mit. Am Abend singen Chöre aus ganz Israel in der Kirche. Weihnachten, Silvester, Corona, Regen, Sturm – in Mi’ilya ist was los.
Ein Vorzeigedorf, nicht nur vor Weihnachten. Auch die Häuser im historischen Teil, neben den Ruinen der alten Kreuzritterburg, sind sorgfältig erhalten und gepflegt. Wer Touristen anziehen will, muss schließlich auf das Äußere achten. Viele Nachbardörfer mit Touristik-Erwartungen haben das noch nicht begriffen. Fast an jeder Ecke stehen kleine Marterl und Marienfiguren. Davor frische Blumen oder kleine Gärtchen. Eine Bekundung: „Hier leben Christen.“
Mi’ilya, wie auch das Nachbardorf Fassuta, sind Israels letzte Gemeinden, in denen ausschließlich Christen leben. Hier soll das Äußere das Innere widerspiegeln.
Stolz auf die Schulen
Iskander Aaraff versucht zu erklären, wie Mi’ilya dabei „nichtchristlichen“ Zuwachs vermeidet: „Bei uns verkauft niemand leicht. Dabei gibt es immer wieder Angebote von außen. Ist ein Käufer fragwürdig, was durchaus auch auf Christen zutreffen kann, kommen aus der Gemeinde Gegenangebote. Das ist nicht immer billig.“
Iskander Aaraff ist Schuldirektor im Ruhestand. Beim Gang durch das Dorf muss er alle paar Meter anhalten, Hände schütteln, grüßen. Lehren und ehren – in Mi’ilya gehört das zusammen. Über 200 junge Menschen aus Mi’ilya arbeiten als Lehrer in ganz Israel. „Wir teilen gerne unseren Überschuss“, sagt er lachend. „Wenn andere Lehrer in Israel hören, dass unsere Klassen im Durchschnitt 24 Schüler haben, erblassen sie vor Neid. Die stehen vor fast 40 Schülern.“
Seinen Nachnamen teilt sich der ehemalige Direktor mit dem Bürgermeister Hatiem Aaraff. Der zählt im Gespräch stolz die besonderen Leistungen und Erfolge Mi’ilyas auf. Was dauert: „Zuallererst legen wir Wert auf Ausbildung. Wir haben nicht nur eine der höchsten Maturantenquoten Israels – unser Notendurchschnitt ist sogar der höchste überhaupt. Unsere Arbeitslosigkeit liegt – trotz Corona – bei zwei Prozent, in ganz Israel bei sechs. Früher lebten hier Bauern, heute haben wir die höchste Akademikerdichte aller arabischen Gemeinden. Auch der Einkommensschnitt ist der höchste.“
So wurde Mi’ilya mit knapp 3.000 Einwohnern zum Regionalzentrum für weit größere Dörfer in der Umgebung – mit Krankenkassen, Behörden und einer Bank. Für den Bürgermeister ist das noch lange nicht genug: „Alle unsere Akademiker arbeiten als Steuerberater, Lehrer, Anwälte, Wissenschafter außerhalb. Wir brauchen unser eigenes Gewerbegebiet mit modernen Berufsangeboten. Aber das geht nicht ohne staatliche Finanzierung, und das dauert.“
Nur 30 Prozent gläubig
Es mag überraschen, doch bei einer Studie aus dem Jahr 2015 gab weniger als ein Drittel der Befragten Israelis an, religiös zu sein. Knapp 65 Prozent bezeichnen sich dabei als nicht religiös oder Atheisten.
Vor allem Juden und Muslime
Die absolute Mehrheit der Einwohner Israels sind jüdischen Glaubens (75 %), doch es leben auch ca. eine Million Muslime in dem Land (17 %).
Christliche Minderheit
Nur etwa zwei Prozent der Israelis sind Christen, der überwältigende Teil davon arabische Christen (77 %). Die meisten von ihnen leben im Norden Israels, in Galiläa. Als Städte mit dem höchsten Anteil an Christen gelten Nazareth, Haifa und Jerusalem.
Familie Aassaf ist im Vorzeigedorf eine Vorzeigefamilie. Sie wohnt Wand an Wand mit der alten Königsburg der Kreuzritter. Als die eigene Wohnung erweitert werden sollte, erfüllte sich Mutter Salma einen alten Traum. Sie hatte Geschichte in Haifa studiert und war sich bewusst, wie geschichtsträchtig der Boden unter ihrem Haus ist. „Einfach in den Ruinen losbuddeln, kam für meine Mutter nicht infrage“, erzählt ihr Sohn Chalil. So finanzierte die Familie ihre eigene Ausgrabung, in enger Zusammenarbeit mit Archäologen aus Haifa – was die Bauarbeiten enorm verteuerte und fast 15 Jahre andauern ließ.
Ausgrabungen im Keller
Zutage kamen riesige Weinpressen aus Kreuzfahrerzeiten in einem hohen Kellergewölbe. Dort betreibt die Familie jetzt ein Restaurant: Das Château du Roi. Die Gäste sitzen teilweise auf einem Glasboden, direkt über den Ausgrabungen. Das Beispiel macht Schule, andere Familien begannen ihre eigenen Grabungen. Im Keller der Familie von Ilya Aaraff fand sich ein byzantinisches Mosaik aus dem 4. Jahrhundert. Mi’ilya war damals schon christlich.
So alt ist die Kirche der Frohen Botschaft neben den Ruinen nicht. Vor 500 Jahren berichtete erstmals ein Reisender von ihr. Im Advent hat Nadiem Schakur mehr Besucher als Gläubige. Er ist hier „Abuna“, der Vater der Gemeinde. So reden ihn auch die jüdischen Besucher an, die auf den Holzbänken sitzen. Abuna Nadiem „predigt“ in akzentfreiem Hebräisch, seine Matura machte er auf einem staatlich-jüdischen Gymnasium in Haifa. Den Gästen erklärt er die unterschiedlichen christlichen Strömungen in Israel. Nicht so leicht: Orthodoxe, griechische und armenische – nicht zu verwechseln mit den Aramäern. Dann auch Kopten, Assyrer, Katholiken und ja, auch die Evangelischen.
Abuna Nadiem weiß, dass ihn manche in Europa beneiden, wenn sie von christlichen Enklaven ohne muslimische Bevölkerung hören. Er winkt ab: „Wir leben seit Jahrhunderten selbst als Minderheit. Nur weil wir unsere eigenen Werte und Traditionen hochhalten, werden diese dann auch von unseren muslimischen, drusischen und jüdischen Nachbarn respektiert. Letzten Endes müssen alle friedlich miteinander auskommen. Alleine darum geht es. Und das nicht nur zu Weihnachten.“
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