Wackelt Netanjahu? Von Minister gestelltes Ultimatum läuft morgen ab

Der Druck auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist in diesen Tagen enorm. Neben dem Krieg im Gazastreifen und der zunehmenden internationalen Ächtung seiner Regierung - inklusive eines Antrags auf einen internationalen Haftbefehl - hat der 74-Jährige auch mit einer innenpolitischen Krise zu kämpfen. Am Samstag könnte das Kriegskabinett aufgelöst werden, selbst Neuwahlen mitten im Krieg sind aktuell nicht auszuschließen.

Die Koalition mit den Ultrarechten um Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir steht auf dem Spiel, seit US-Präsident Joe Biden am Freitagabend in Washington Details eines Drei-Stufen-Plans für eine Waffenruhe im Gazastreifen präsentierte - und dabei erklärte, Netanjahu habe diesem US-Vorschlag bereits zugestimmt. Damit brachte er Netanjahu in Bedrängnis, der noch am Samstag öffentlich klarstellte: Ein Kriegsende könne es nur geben, wenn die Hamas zerschlagen und alle Geiseln befreit wären.
Doch der Schaden war bereits angerichtet. In Tel Aviv gingen noch am Samstag hunderttausende Demonstranten auf die Straße und forderten eine baldige Waffenruhe inklusive Geiselbefreiungen. Ben-Gvir drohte in dieser Woche bereits zweimal, die Koalition auflösen zu wollen, sollte Netanjahu einem Deal zustimmen, der ein Kriegsende ohne vollständige Zerschlagung der Hamas zur Folge hätte.

Israels Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, Parteichef der rechts-religiösen "Jüdischen Stärke", stellt die vollständige Vernichtung der Hamas als Bedingung für ein Ende des Krieges.
Obendrein verstreicht am Samstag eine Frist, die der eigentliche Oppositionschef Benny Gantz - seit Dezember Minister im Kriegskabinett - gesetzt hat: Wenn Netanjahu bis dahin keinen Plan präsentiere, wie es im Gazastreifen nach einem möglichen Kriegsende weitergehen und wer das Gebiet kontrollieren soll, werde Gantz das Kabinett gemeinsam mit seinem Parteikollegen Gladi Eizenkot verlassen - was einer Auflösung gleichkäme.
Netanjahu steckt also in der Zwickmühle zwischen Forderungen seiner rechten Koalitionspartner und liberalen Mitglieder im Kriegskabinett. Der KURIER fragte bei einem Experten nach, wie ernst die Situation einzuschätzen ist und welches Kalkül dahintersteckt.
"Die innenpolitische Situation in Israel ist schon länger angespannt, vor allem weil die ausgerufenen Kriegsziele nahezu unerreichbar sind", meint der Politologe Peter Lintl von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die Verhandlungen zur Befreiung der Geiseln sind schon länger ohne nennenswerten Fortschritt, und immer häufiger tauchen Berichte von Geiseln auf, die umgekommen sind."
Trotzdem pochen die Ultrarechten weiterhin darauf, bis zur vollständigen Zerschlagung der Hamas weiterkämpfen zu wollen. Eben deshalb sei Oppositionsführer Benny Gantz dem Kriegskabinett beigetreten, so Lintl, "um die Macht der radikalen Rechten bei Kriegsentscheidungen einzuschränken". Sollte Gantz am Samstag also tatsächlich seinen Ministerposten aufgeben, "würde das den Einfluss der Rechten um Ben-Gvir weiter stärken".
Bidens Drei-Punkte-Plan beinhaltet auch vage Formulierungen zur Zukunft des Gazastreifens: eine sogenannte "dauerhafte Waffenruhe". Würde Netanjahu dem Vorschlag also öffentlich mit deutlicheren Worten zustimmen, könnte das Gantz zufriedenstellen, meint der Experte. Ob Ben-Gvir in diesem Fall wirklich die Regierung sprengen würde, "hängt davon ab, ob er davon ausgeht, dass es ihm mit Blick auf mögliche Neuwahlen nützt". Aktuell, so Lintl, "muss man aber davon ausgehen, dass die Drohung ernst gemeint ist."
Netanjahu legt in Umfragen zuletzt zu, doch Gantz liegt vorne
Dass die innenpolitische Spannung in Israel gerade jetzt zunehme, dürfte vor allem daran, liegen, dass das Zeitfenster für mögliche Neuwahlen sich Lintl zufolge bald schließt: "Der Stichtag ist der 28. Juli, dann geht die Knesset (Israels Parlament, Anm.) in eine Sommerpause." Weil Neuwahlen mindestens drei Monate im Voraus angekündigt werden müssen, wären sie anschließend nicht mehr vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November möglich.
Ein möglicher Trump-Sieg in den USA dürfte Netanjahus Leben deutlich erleichtern. Donald Trump habe Israel während seiner Präsidentschaft stets "unbegrenzte Unterstützung" zugesichert, so Lintl. Bei einem Biden-Sieg bliebe der Druck auf Netanjahu hoch; schließlich hätten nicht erst die Vorgänge am Wochenende aufgezeigt, "dass das Verhältnis zwischen Biden und Netanjahu nicht gut ist".
In den nächsten Wochen werden also die Weichen gestellt, ob es inmitten des Krieges zu Neuwahlen kommt. Netanjahu dürfte dabei auch auf Zeit spielen: Im Dezember lag das Oppositionsbündnis um Benny Gantz in Umfragen noch meilenweit vorn, inzwischen ist der Vorsprung auf wenige Sitze geschrumpft. Bei der Frage nach dem bevorzugten Premierminister landete Gantz in der Vorwoche erstmals seit Kriegsbeginn nicht auf dem ersten Platz - Netanjahu hatte ihn überholt.
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