Terror in Israel: "So schnell bin ich mein ganzes Leben nicht gerannt"
David, Michael, Oren, Alon, Oschri und Naama erzählen, wie sie nahe des Gazastreifens den "schwarzen Sabbat" erlebt haben – und warum sie trotzdem nicht weggehen.
David Avram schüttelt immer noch den Kopf, wenn er seine Geschichte erzählt. Er hatte Glück, unbegreifliches sogar. Glück, das andere nicht hatten.
"So gegen sieben Uhr machte ich meine kleine Runde ums Haus, mit einer Zigarette und einer Tasse Kaffee", sagt er. Gut 20 Kilometer sind es von Ofakim bis zum Gazastreifen, geschossen haben sie aber auch hier, am schwarzen Sabbat vor einer Woche. Bei seiner Runde habe er „diesen Typen im Unterhemd“ gesehen, kauernd hinter der Mauer am Vorgarten. Die Schüsse, die er von weitem hört, wundern den 41-Jährigen nicht. Das komme schon mal vor, die Kriminalitätsrate sei nicht ohne.
„Dann sehe ich, wie der Typ ein Gewehr auf mich richtet. Es knallt. Noch begreife ich nichts, aber ich renne los.“ Er duckt sich hinter eine Mauer, „Gewehr im Anschlag kommt er mir nach“.
Dann: Ladehemmung. „So schnell bin ich mein ganzes Leben nicht gerannt.“
Michael
Netivot, einige Kilometer hinter Ofakim, ein Stück näher am Gazastreifen. Die Straßen sind noch leerer, ein kleiner Supermarkt und ein Kiosk haben geöffnet. Die Werkstatt von Michael Biton hat zu, wie vieles seit Samstag.
„Stundenlang saßen wir im Schutzraum und wagten uns nicht auf die Straße“, sagt Biton, 37, während er in seiner Werkstatt nach dem Rechten schaut. Auch auf Netivot hagelten Raketen der Islamisten, Biton filmte von seinem Balkon aus, wie Leute vom Ordnungsamt auf die Terroristen schossen. „Wären die nicht gewesen, wären die Terroristen auch bei uns eingedrungen.“
Oren
Sein Bruder Oren zuckt mit den Schultern. Auch er hatte Glück, er war bis Mitternacht noch auf der Rave-Party in Re´im. Dort, wo die Angreifer fast 300 Menschen töteten. Tanzend, schlafend, flüchtend. Die Mörder kamen auf Motorrädern und Windgleitern, da war Oren schon weg, weil er müde gewesen war. „So ein Glück hatte ich“, murmelt Oren leise, „ich kann es immer noch nicht fassen."
Ein paar Kilometer weiter in Sderot. Hier sind die Straßen leer, die Häuser auch. „Wir empfehlen, die Stadt zu verlassen“, sagt Bürgermeister Alon Davidi, „gezwungen wird aber niemand. Seit 19 Jahren liegt die Stadt unter dem Beschuss der Raketen der Hamas.
Letzten Samstag waren es 100 in fünf Stunden. Die Terroristen wüteten über Stunden in der Stadt. Drangen in Wohnungen ein. Töteten, wer ihnen über den Weg lief. Nahmen 126 Menschen als Geiseln mit.
Oschri
„Es war ein unglaubliches Chaos“, sagt Oschri Gueta. Vor vier Monaten war er noch Chef der Polizeiwache hier, wurde dann nach Norden versetzt. „Am Samstagmorgen alarmierten sie mich, ich raste los. Über Funk höre ich, dass mein Nachfolger getötet wurde, ich übernehmen muss.“
Er schoss auf die Terroristen, mit Hilfe von Soldaten, die von Freunden und Angehörigen alarmiert wurden. „Reguläre militärische Hilfe kam viel später.“
Vor der Station des Roten Davidssterns reinigt ein Sanitäter eine Trage. Sie ist voll Blut, es stammt von Verletzten und von Rettungsarbeitern. Das Ambulanzfahrzeug ist von Kugeleinschlägen übersät. „Sie fährt noch, also fahren wir damit,“ erklärt der Sanitäter und schrubbt weiter. Naama sieht nicht gerade aus wie eine Ärztin. Mit ihrer punkigen Frisur wirkt die 37-Jährige jünger, als sie ist. „Meine Mutter lebt hier, meine Freunde alarmierten mich, als die ersten Schüsse fielen“, sagt sie. Sie raste aus ihrem Tel Aviver Vorort los, um zu helfen, „ich hab‘ keine Sekunde gezögert“, sagt sie. Sie wendet sich kurz ab, eine Patientin muss versorgt werden.
„Es war das erste Mal, dass ich Leichen gestapelt sah“, sagt Naama und senkt ihren Blick. „Unfassbar, auch für mich als Ärztin. Und das in Israel.“ Wieder eine Pause, Raketenalarm. Alle laufen in den Schutzraum. Der Einschlag ist nahe und die Druckwelle auch im Bunker spürbar. Doch die Sanitäter müssen nicht raus. Fast alle Häuser sind leer.
„Die Mörderbande hat uns hart getroffen“, sagt Naama. „Aber wir sind hier nicht wegzukriegen.“ Ihre Großmutter floh mit 14 Jahren aus Wien nach Schweden, nach dem Krieg kam sie nach Israel. Ihre Eltern starben in Auschwitz.
„Sie sagte immer: Auch hier lauert der Tod für Juden an jeder Ecke. Aber eine andere Ecke haben wir nicht.Das ist unser Zuhause.“
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