"Land der Femizide": Braucht es auch in Österreich Unterricht gegen Frauenhass?

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Toxische Männlichkeitsbilder haben global "Konjunktur", sagt Gender-Forscherin Goetz. Großbritannien plant ab diesem Herbst Unterricht dagegen. Eine Idee, die auch in Österreich sinnvoll wäre?

Matthew war ungefähr 15 Jahre alt, als ein Mädchen ihm das Herz brach. "Ich war übergewichtig und sozial ungeschickt. Mein Freundeskreis war beschränkt. Ich war sehr unsicher", erzählte der Australier, der eigentlich anders heißt, schon vor ein paar Jahren dem Sender BBC. Die Zurückweisung durch das Mädchen habe seine Unsicherheit verstärkt. Zunächst habe er nur ihr gegenüber Groll verspürt. Leute im Internet hätten ihn dann innerhalb eines Jahres davon überzeugt, dass Grausamkeit eine häufige Eigenschaft von Frauen sei: "Es war die Vorstellung, dass alle Frauen von Natur aus manipulativ sind und die Absicht haben, Männer auszubeuten." 

Er wurde Teil der "Incel"-Bewegung, die diese Ideologie in sozialen Netzwerken bis heute verbreitet, und noch vieles mehr. Der Begriff ist die Abkürzung von "Involuntary Celibates", unfreiwillig Zölibatäre. So nennen sich heute vor allem heterosexuelle Männer, die Frauen die Schuld dafür geben, dass sie keinen Sex haben. In sogenannten "Mannosphären" im Internet verbreiten sie gemeinsam mit anderen Frauenhassern misogyne Inhalte. Frauen hätten zu viel Macht beim Dating, heißt es da etwa, und würden die Leben der Männer durch Zurückweisung ruinieren. Und: Wenn Männer nur dominant genug seien, sei das nicht mehr möglich. 

Laut der österreichischen Politikwissenschafterin und Gender-Forscherin Judith Goetz, die sich seit Jahren mit den Themen Frauenhass und Rechtsextremismus beschäftigt, haben toxische Maskulinitätsangebote global gerade "Konjunktur". Gründe dafür sieht sie in den multiplen Krisen der Welt: Wirtschaft, Krieg, Klima, auch die Pandemie wirke noch nach: "In diesen scheinbar unsicheren Zeiten versprechen toxische Männlichkeitsbilder – Bilder von Selbstoptimierung, Durchsetzungsfähigkeit, Potenz – gefühlte oder erlebte Kränkungen zu kompensieren." 

Immer wieder kommt es in Zusammenhang damit auch zu Gewalt gegen Frauen. Bei mehreren Schießereien und Amokläufen etwa, auch im deutschsprachigen Raum, wurden in den vergangenen Jahren "Incel"-Verbindungen bzw. Sympathien der Täter dafür gefunden. 

Großbritannien verkündete nun kürzlich, all dem stärker entgegenwirken zu wollen. Und zwar in der Schule – jener Ort, wo frauenfeindliche Einstellungen laut einer neuen Umfrage des Bildungsministeriums ein "epidemisches Ausmaß" angenommen haben. Mehr als die Hälfte der befragten Schüler zwischen elf und 19 Jahren gab demnach an, in der Woche davor frauenfeindliche Kommentare gehört zu haben. 

"Normalisierung von Gewalt"

Misogynie sei an britischen Schulen weit verbreitet, teilt auch die NGO Everyone’s Invited mit: "Wir erleben die Normalisierung von Gewalt und verletzender Sprache, junge Menschen kommen immer früher mit Pornografie und sozialen Medien in Berührung." Die Organisation hat seit ihrer Gründung 2020 mehr als 52.000 Berichte von Schülerinnen gesammelt, "um auf das Ausmaß der Vergewaltigungskultur in Schulen aufmerksam zu machen". 

Sekundarschulen sollen nun spätestens ab Herbst 2026 Unterricht über die "Incel"-Kultur sowie die Zusammenhänge zwischen sexistischer Pornografie und Frauenfeindlichkeit anbieten, im Rahmen des bereits existierenden Faches "Beziehungen, Sex und Gesundheitsbildung". Ziel sei es unter anderem, den Jungen "positive Vorbilder" zu geben.

Nicht mit der "Moralkeule"

Expertin Goetz hält das für eine gute Idee – grundsätzlich: "Es ist wichtig, über Incels zu sprechen. Aber man muss sich auch überlegen, wie und in welchem Kontext man das macht, um das Phänomen nicht vielleicht bekannter zu machen bzw. sogar zu verstärken." Die Pubertät sei häufig mit Grenzerfahrungen und Rebellion verbunden. "Wenn jetzt Autoritäten, Lehrkräfte, sagen, Misogynie und Incels seien böse, dann wirkt das auf bestimmte Jugendliche reizvoll und übt auch eine Art Negativ-Attraktivität aus", so Goetz. 

Deshalb sei wichtig, "nicht mit der Moralkeule aufzuklären" und die Themen auch nicht als besonders brutal darzustellen. "Es muss ein Klima geben, in dem Probleme angesprochen werden können, ohne sanktioniert zu werden. Die Schüler müssen auch sagen können: Ich bin wütend auf Frauen, weil ich keine Partnerin finde." Aber das müsse dann aufgefangen und bearbeitet werden, dürfe keinesfalls so stehengelassen werden. 

Rollenspiele und Perspektivenwechsel

Wie? Goetz nennt verschiedene Möglichkeiten. "Auf Empathie setzen: Was bedeutet es für Frauen, derart abgewertet zu werden? Wie fühlt sich das für sie an? Und Alternativen aufzeigen: Wie kann ich mit Frustration, Angst, Zurückweisung anders umgehen als mit Gewalt und Abwertung? Was bedeutet ein positives, respektvolles Miteinander?" So etwas könne man etwa mit Rollenspielen und Perspektivenwechseln erreichen.

Auch die Kommunikationsfähigkeit gehöre gestärkt. "Ein Effekt toxischer Männlichkeitsideologien ist ja, dass viele Burschen nicht über Gefühle reden können und sie dementsprechend auch nicht verarbeiten." Frustration und Negativerfahrungen würden auch deshalb oft in Gewalt münden, weil sie sich anstauen. 

Kritisches Denken, ganz besonders was die Navigation im Internet angehe, könne man mit der gemeinsamen Analyse von Online-Inhalten fördern. 

Auch in Österreich denkbar?

Ob so ein Unterricht auch in Österreich, dem "Land der Femizide", sinnvoll wäre? "Ja", sagt Goetz. „Aber gleichzeitig gibt es hierzulande eine gesellschaftliche Tendenz, Missstände überall an Pädagog:innen auszulagern. Das kann zu einer Überbelastung führen.“ Es brauche eine Ausbildung dafür. Man solle daher "nicht im Nachhinein mit Schulungen kommen". Mehr Sinn würde es demnach machen, "geschlechterreflektierte Pädagogik schon in der Lehrer:innen-Ausbildung als Standbein zu verankern". Denn mit Gender-Themen konfrontiert werde man im Klassenzimmer jedenfalls.

Auch Everyone’s Invited in Großbritannien warnt: "Ein solcher Unterricht braucht angemessene Finanzierung und Infrastruktur. Lehrkräfte brauchen Zeit, Mittel und die richtige Schulung, um ihn sinnvoll gestalten zu können."

Das österreichische Bildungsministerium verweist auf Nachfrage auf seine sogenannte "reflexive Geschlechterpädagogik", die als übergreifendes Thema in den Lehrplänen der Primarstufe und der Sekundarstufe I (Mittelschule und AHS-Unterstufe) bereits verankert sei. Schüler müssten sich demnach schon jetzt im Unterricht mit Rollenklischees, Vorurteilen und Sexismus auseinandersetzen.

Laut Goetz hapert es aber an der Umsetzung: "Viele Lehrkräfte wissen gar nichts davon oder berücksichtigen das nicht."

Der von der BBC zitierte Ex-"Incel" Matthew sagt im Nachhinein, seine extremen Einstellungen gegenüber Frauen seien "ziemlich schrecklich" gewesen, jetzt wo er so darüber nachdenke. Er hat sich nach einer Weile selbst von der Bewegung abgewendet, sie sei ihm irgendwann zu politisch geworden. Nach der Schule, auf der Universität, habe er sich leichter getan, Leute im Offline-Leben kennenzulernen, und auch mehr mit Frauen gesprochen. Er äußerte aber eine Sorge: Dass es anderen "Incels", die sich mehr zurückziehen als er, schwerer fallen könnte, sich zu ändern.

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