Impfweltmeister Israel - und dennoch Lockdown
„Hätte Israel länger planen können, wären die Impfungen gescheitert. Es musste also improvisiert werden – und darin sind wir eben Weltmeister!“ Nachman lacht, als er aus dem Impfzentrum in Beer Schewa kommt, das bis Ende Dezember noch ein Jugendtreff war. Gerade wurde ihm seine zweite Impfdosis gespritzt. Mit seinen 76 Jahren hat er mehrere Kriege hinter sich. Was ist da schon eine Impfung?
Versuchslabor der Welt
Israel – als Versuchslabor der Welt für Impfungen. Mit Nachman haben fast schon zwei von neun Millionen Israelis ihre zweite Dosis hinter sich. Drei Millionen haben ihre Erstimpfung erhalten. Ein rasantes Tempo, das von keinem anderen Land auch nur annähernd erreicht wird. Es gibt da aber ein Problem: Auch die Infektionszahlen steigen rasant. Kein anderes Land in der Welt hat so viele Lockdown-Tage hinter sich.
Schuld daran sei die britische Mutation des Virus. Sagen Gesundheitsexperten. Und schuld daran sei der nicht nachvollziehbare Zick-Zack-Kurs der Regierung. Sie sperre alle in den Lockdown, der dann aber gerade an den gefährdetsten Infektionsherden nicht kontrolliert werde.
Profis statt Politiker
Nur beim Impfen funktioniert es, denn da halten sich die Politiker raus: Die Impfkampagne liegt mittlerweile ausschließlich in Händen der Gesundheitsämter, Polikliniken und Krankenhäuser.
Die Regierung ist hingegen zerstritten wie noch nie. Nichts läuft beim Lockdown logisch. Die letzte Amtshandlung war die Schließung des Flugverkehrs. Am Freitag gab es nur einen Flug nach Frankfurt: An Bord 30 Fahrgäste mit Sondererlaubnis, etwa Krebspatienten. Für den Rückflug waren 50 Israelis gebucht, die im Ausland festsitzen.
So soll die Ankunft der neuen und gefährlicheren Mutationen aus London und Kapstadt fest unter Kontrolle bleiben. Doch auf eine Verlängerung des andauernden Lockdowns konnte sich das Krisenkabinett nicht einigen.
Zwar sitzt die Blau-Weiß-Partei mit Premier Netanjahus Likud im Kabinett. Im anlaufenden Wahlkampf aber gehört sie zur Opposition. Sie will einer Verlängerung nur zustimmen, „wenn er auch wirklich für alle gilt und seine Durchsetzung ausnahmslos erfolgt“. Dafür soll eine drastische Erhöhung der Strafgebühren gegen Verweigerer sorgen. Die finden sich vor allem in zwei Gruppen. In Israels arabischen Ortschaften, wo die Lockdown-Beschränkungen von vielen nur lasch eingehalten werden. Wo aber Kontrollen der Polizei nur sehr sporadisch stattfinden. Auch in Wohngegenden mit mehrheitlich strengfrommen jüdischen Bewohnern ist der Lockdown verhasst.
Die Orthodoxen nehmen zwar rege an der Impfkampagne teil, lehnen aber die Schließung ihrer Lehrhäuser ab. Als die Polizei Kontrollen durchführen wollte, kam es zu Schlägereien. Mit verletzten Studenten und Polizisten.
Am Freitag gab es Zusagen wichtiger Rabbiner, den Lehrbetrieb doch noch einzustellen. Ob das gilt, wird sich erst nächste Woche zeigen.
Neuwahlen am 23. März
Politische Dimensionen tun sich auf, die Netanjahu vor dem Wahltermin am 23. März sehr gefährlich werden können. Er will die orthodoxen Parteien, seine treuesten Verbündeten, nicht verärgern. Was aber säkulare Wähler vergraulen kann.
Prozess gegen Netanjahu
Oppositionschef Jair Lapid erinnert an einen weiteren politischen Schwachpunkt: „Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Lockdown dem Premier passend käme, weil wieder ein Termin vor Gericht verschoben werden muss. Wo unser Premier sich wegen Bestechung, Veruntreuung und Korruption verantworten muss.“
Noch erhält Netanjahu in Umfragen durch den Impferfolg wachsenden Zuspruch. Jetzt werden schon die 35-Jährigen geimpft, die eigentlich erst für März geplant waren. Auch Maturanten kommen dran. Und gefährdete Schwangere mit Vorerkrankungen werden geimpft. Das Vertrauen der Ärzte in den Impfstoff wächst mit der steigenden Durchimpfung.
Ungleichheiten
Doch zugleich wächst auch die Ungeduld der Bevölkerung im Lockdown. Sie zeigt sich im Straßenverkehr, der trotz Lockdown von Tag zu Tag zunimmt – die Leute wollen arbeiten oder einfach raus. Oder in den sozialen Netzen: Video-Clips zeigen, wie „selektiv“ Verbote verhängt werden. Mit Bildern aus der Filiale einer Supermarkt-Großkette, die in ihren Hallen „Nahrungsmittel“ verkaufen darf. In der aber auch Kleider und Spielzeug verkauft werden. Während gleichzeitig Hunderte Geschäfte im Einzelhandel Konkurs anmelden müssen. Zudem dürfen auf Märkten mit „Kundenverkehr an der frischen Luft“ keine Lebensmittel verkauft werden – was ebenfalls für Unmut sorgt.
Chefärzte gege Lockdown
Das Verständnis der Bevölkerung geht verloren. Denn von den mehr als 20 Chefärzten des Landes hält keiner einen umfassenden Lockdown noch für notwendig. Die Lage auf den Intensivstationen sei nicht mehr kritisch.
Impfnotstand bei Palästinensern
Und die Palästinenser? Auch im Westjordanland und im Gazastreifen ist die Lage in den Krankenhäusern noch unter Kontrolle. Mit den Impfungen aber hapert es. Der russische Impfstoff blieb letzte Woche aus, da der Transport über Jordanien nicht klappte. Jetzt will Israel die Kühltransporte übernehmen. Und dann sollen auch andere Impfstoffe verimpft werden.
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