"Unverhältnismäßig"
Israels Polizei ist frustriert. Noch in den letzten Tagen enthüllten Medienberichte, dass die Polizei in strengfrommen Wohnvierteln nur lasche Lockdown-Kontrollen durchführte. Dabei sind die Infektionszahlen gerade dort die höchsten in Israel. Einige vermuteten direkte Anweisung „von Oben“. Andere glaubten an vorauseilenden Gehorsam: Die Polizeiführung sei sich bewusst, was „Oben“ von ihr erwarte. Die Zahl der Strafbescheide lag in frommen Ortschaften nur bei zehn Prozent im Vergleich zu anderen Gemeinden.
Jaakov Viber, Stadtrat in Bney Brak aus Netanjahus Likud-Partei, kritisierte am Freitag ebenfalls „ein unverhältnismäßig scharfes Vorgehen der Polizei“. Er fand aber auch kritische Worte für die bisherige Zurückhaltung. „Wäre die Polizei von Anfang an konsequenter vorgegangen, wäre dieser Gewaltausbruch zu vermeiden gewesen. Nur eine kleine radikale Gruppe glaubt, Angriffe gegen die Polizei seien gerechtfertigt.“ Diese Gruppe terrorisiere alle, die nicht ihre Meinung teilen, sogar angesehene Rabbiner. Ihre Rädelsführer seien der Polizei namentlich bekannt. Hinter ihnen stehe aber eine radikale Clique führender Funktionäre, die sie steuere und auch schütze.
Nicht alle Kenner der orthodoxen Gesellschaft sehen „eine kleine, aber radikale Minderheit“. So kamen die Randalierer vor allem von Lehrseminar des Vischnitzer Rabbis, eine angesehene Schule des strengfrommen Mainstreams. Es war auch kein Einzelfall: Was in der Nacht begann, setzte sich am Morgen weiter fort. In Aschdod kam es vor dem Grodno-Lehrseminar wieder zu einer Straßenschlacht zwischen jungen Schriftgelehrten und der Polizei, die den dort stattfindenden illegalen Unterricht stoppen wollten. Nicht der erste Krawall dort. Schon im Januar während des ersten Lockdowns gab es hier Zusammenstöße.
Konsequenz
Am Mittwoch wird sich zeigen, ob die Polizei wirklich konsequenter gegen fromme Lockdown-Brecher vorgehen will. Oder kann. Dann wird das Tu-biSchwat-Fest gefeiert. Ein in frommen Familien bevorzugter Hochzeitstermin an dem traditionell viele Gäste geladen sind. Soll heißen: Mehr Gäste als die Lockdown-Vorschriften erlauben.
Für Stadtrat Vibers Parteichef Netanjahu keine guten Nachrichten. Er wollte und will seine frommen Verbündeten nicht verärgern. Gerät aber jetzt unter Verdacht, die autonomen Verhältnisse der strengfrommen Bevölkerung deshalb untätig hinzunehmen. Zur ohnehin umstrittenen gesetzlichen Befreiung Schriftgelehrter vom Wehrdienst kommt im Lockdown noch die Verweigerung, der Ausgangsbeschränkungen hinzu. Die gerade Netanjahu gegen starken Widerstand auch in der eigenen Partei durchgesetzt hat.
Im März sind wieder mal Wahlen in Israel, die vierten in weniger als zwei Jahren. Netanjahu droht dabei zwischen Hammer (orthodoxe Verbündete) und Amboss (wachsende Unzufriedenheit weltlicher Wähler) zu geraten.
Doch läuft seine Strategie im bisherigen Wahlkampf gut: Über eine rasante Impfkampagne sind bereits über 20 Prozent aller Israelis gegen das Covid-Virus geimpft. Diese Woche sind auch jüngere Wahlgänge an der Reihe geimpft zu werden. Sogar die 17-jährigen Gymnasiasten vor ihrer Matura sollen vorgezogen werden, um ihre Prüfungsvorbereitungen nicht zu gefährden. Sind Israels Wähler erst einmal gegen Covid19 immun, hofft der von einer dreifachen Korruptionsklage überschattete Premier auf Wiederwahl - und somit Strafimmunität. In Umfragen hält eine große Mehrheit Netanjahu weiter für den geeignetsten Premier-Kandidaten – auch eine Mehrheit der arabischen Wähler.
Netanjahu spricht bereits von der Erlaubnis, vielleicht schon im Februar wieder Kultur- und Sportveranstaltungen zulassen zu können. Was der Corona-Experten-Beirat bezweifelt. Aber im Wahlkampf sind Ankündigungen dieser Art bis zum Wahltag eben erlaubt. Deren Einhaltung wird nicht von der Polizei kontrolliert.
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