Immer mehr Flüchtlinge: Mazedonien im Ausnahmezustand

Flüchtlinge in Mazedonien, die nach Serbien weiterwollen.
Die Zahl der Asylwerber überfordert europäische Ziel- und Transitländer. Ein Überblick.

Nicht nur in Österreich scheint es dieser Tage nur ein Thema zu geben, ganz Europa ist ob der steigenden Flüchtlingszahlen schier überfordert. Meldungen aus den verschiedenen Ländern und Bilder verzweifelter Flüchtlinge kommen im Stundentakt. Ein Verteilungsschlüssel für die EU fehlt aber noch, auch wenn am Donnerstag wieder bekräftigt wurde, dass dieser kommt. Der spanische EU-Kommissar Miguel Arias Canete bekräftigte: "Wir brauen einen permanenten Verteilungsmechanismus um Notfällen zu begegnen."

Ein Überblick über die Situation in ausgewählten Ländern Europas:

Griechenland & Mazedonien

Immer mehr Flüchtlinge: Mazedonien im Ausnahmezustand
epa04889888 A Pakistani refugee swims towards a beach as others are seen on a dinghy whose engine broke down near the shore of the Greek island of Kos after crossing the sea borders with Turkey, Greece, 20 August 2015. The Greek island is struggling with a major influx of refugees and migrants amidst the financial crisis and the height of the tourist season. EPA/YANNIS KOLESIDIS
Auf Lesbos ist die Lage katastrophal.Die Insel in der Nord-Ägäis stehe "am Rande des Zusammenbruchs", erklärte das International Rescue Committee (IRC) am Dienstag. Die Zahl der Flüchtlinge sei in den vergangenen Tagen "dramatisch" gestiegen. Die Behörden könnten den Andrang nicht bewältigen. Ebenso dramatisch war die Lage zuletzt auf der Insel Kos, wo sich nach UNHCR-Angaben zurzeit 2500 Migranten befinden. Zwischenzeitlich waren es demnach 7000 gewesen. Auf der Insel gibt es kein Aufnahmezentrum. Mit einer Fähre wurden heute 2.500 Flüchtlinge von mehreren Inseln nach Piräus gebracht.

Viele Flüchtlinge, die aus Griechenland in andere Länder wollen, passieren Mazedonien: Das Transitland hat nun am Donnerstag den Ausnahmezustand erklärt. Die Regierung erklärte in Skopje, der "verstärkte Druck" auf die südliche Landesgrenze sowie eine verstärkte Zuwanderung von Flüchtlingen aus Griechenland machten dies erforderlich. Um die Krise zu bewältigen, müsse die Grenzregion besser kontrolliert werden, unter anderem durch den Einsatz des Militärs.

Die mazedonische Polizei hat laut Medienberichten die Grenze zu Griechenland an einer wichtigen Route blockiert und damit Tausende Flüchtlinge festgesetzt.

Großbritannien und Frankreich

Die Regierungen in London und Paris wollen ihre Polizeipräsenz am Eurotunnel massiv aufstocken, um Flüchtlinge am Versuch zu hindern, durch den Tunnel nach Großbritannien zu gelangen. Das britische Innenministerium gab in der Nacht zum Donnerstag die Bildung eines gemeinsamen Einsatzzentrums in der französischen Stadt Calais bekannt. Jede Nacht versuchen Hunderte illegal durch den Eurotunnel, versteckt in Lastwagen und auf Güterzügen, nach Großbritannien zu gelangen. Sie hoffen auf bessere Lebensumstände und Asylbedingungen (mehr dazu hier: Fünf Gründe, warum Flüchtlinge nach Großbritannien wollen).

Italien

Rund 2.300 Menschen sind auf offener See gestorben, weil sie in Booten Italien erreichen wollten, gab das UNO-Flüchtlingshilfswerk Anfang August in ihrem Bericht bekannt. Diejenigen, die die Überfahrt überleben, bleiben entweder in Italien oder reisen weiter, um in den "reicheren Norden" zu gelangen. Premierminister Italien Matteo Renzi gerät angesichts der Flüchtlingsproblematik unter Druck. So kritisierte die italienische Kirche die Regierung wegen mangelnder Integrationspolitik für Ausländer: Es genüge nicht, Migranten im Mittelmeer zu retten, um das nationale Gewissen zum Schweigen zu bringen, heißt es.

Deutschland

Deutschland erwartet 2015 viermal so viele Asylwerber wie im vergangenen Jahr. "Wir müssen damit rechnen, dass in diesem Jahr bis zu 800.000 Menschen als Asylwerber oder Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kommen", sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere am Mittwoch nach Beratungen mit Ländervertretern in Berlin. Dies wäre der größte Zustrom von Flüchtlingen seit Bestehen der Bundesrepublik (mehr zur Asyldebatte in Deutschland hier).

Slowakei

Die Slowakei hat sich nach EU-Plan zur Aufnahme von 200 syrischen Kriegsflüchtlingen bereit erklärt. Das ist für ein Land mit nur 5,5 Millionen Einwohnern eigentlich wenig. Nun will sie zudem ausschließlich syrische Christen aufnehmen. Kürzlich ist die Debatte rund um Gabcikovo hochgekocht: Dort sollen Flüchtlinge aus Traiskichen unterkommen. Auch im Baltikum und in Polen haben Politiker betont, sie bevorzugten christliche Flüchtlinge, da diese leichter in ihren Ländern integriert werden könnten.

Österreich

Immer mehr Flüchtlinge: Mazedonien im Ausnahmezustand
epa04890137 Austria police watch migants board a bus as 93 refugees from Syria, Pakistan, Afghanistan and Bangladesh have been picked up at the Vienna Westbahnhof, railway station in Vienna, Austria, 20 August 2015. More than 28,300 people applied for refugee protection in Austria in the first half of the year 2015, with many coming from Syria, Afghanistan and Iraq. EPA/HERBERT NEUBAUER
Und hierzulande? Die Lage in Österreich ist bekannt: Traiskirchen ist heillos überfüllt, die humanitäre Lage katastrophal. Die Zahl der Asylwerber soll dieses Jahr auf 80.000 steigen.Innenministerin Mikl-Leitner will nun die EU unter Druck setzen, eine Klage wird sogar angedacht.Und die innerpolitische Debatte ist wenig sachlich, gegenseitige Schuldzuweisungen inklusive.Aber es mehren sich auch immer mehr private Initiativen, um Flüchtlingen zu helfen.

Niemand soll hier aus der Verantwortung genommen werden: Keine Regierung in Österreich und auch keine andere eines EU-Staates. Seit vielen Monaten warnen Hilfsorganisationen, dass auf Europa eine beispiellose Flüchtlingswelle zukommt. Und monatelang hat man von Wien bis Brüssel so agiert, als könne man durch Herumlavieren und Nachbessern eine Herausforderung lösen, die zu den größten unserer Zeit gehört. Kolossale Versäumnisse und Managementfehler unserer politischen Führung – das ist das eine.

Das andere aber ist: Wie soll der Flüchtlingsstrom je enden, wenn man nicht an seine Ursachen geht? Mehr als vier Jahre tobt der Krieg bereits in Syrien. Und mehr als vier Jahre lang gab es keine einzige ernsthafte internationale Initiative, den Wahnsinn zu stoppen. Syrische Flüchtlinge, so viel ist sicher, werden so lange nach Europa kommen, so lange der Krieg nicht endet. Österreich kann nicht viel Druck machen, die EU in ihrer Gesamtheit schon ein wenig mehr. Aber hallo? Lebt die UNO eigentlich noch? Oder der Weltpolizist USA – oder gar die Führung in Moskau? Die Idee vom peace-making, sie wurde offenbar vergraben unter einem Berg von Sonderinteressen, die USA, Russland, Saudi-Arabien, Türkei und der Iran jeweils in Syrien verfolgen.

Aber wenn sich schon kein Frieden machen lässt, muss die Welt zumindest dafür sorgen, dass Millionen Flüchtlinge bereits in den Nachbarländern Syriens, die immerhin vier Millionen Menschen aufgenommen haben, irgendwie überleben können. Vielleicht mit mehr und größeren Flüchtlingslagern, sicher aber mit sehr viel mehr Lebensmittelunterstützung. Das kostet Geld, sehr viel Geld, das jedes UN-Land, also auch Österreich, aufbringen muss. Die Fakten sehen freilich anders aus: Wegen Geldmangels muss die UNO ab September die Lebensmittelhilfe für Hunderttausende Flüchtlinge in Jordanien und im Irak einstellen. Und was, so fragt man sich, hat man als Flüchtling auf dem Weg nach Europa schon zu verlieren, wenn man dort, wo man ist, sowieso verhungern würde?

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