Und plötzlich rüttelt es. Wer die EU-Außengrenze von Bulgarien nach Nordmazedonien mit dem Auto überquert, der spürt das. Ab dem Grenzübergang Gyueschewo, an dem neben bulgarischen und mazedonischen Grenzbeamten auch etliche streunende Hunde Wache halten, verwandelt sich der ebene Asphalt in eine holprige Schotterstraße. Am Rand der Serpentinen, die sich bis ins mazedonische Flachland schängeln, stehen unbemannte Bagger, Schutthaufen und Teile der Leitplanke, die noch aufgestellt werden müssen.
Für Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, der am Montag von Bulgarien aus in die mazedonische Hauptstadt Skopje reiste, zeigt sich alleine am Unterschied der Straßenqualität beider Länder, „wie schnell die Europäische Union das wirtschaftliche Potenzial eines Staates entfalten kann“.
Kaum ein Drittstaat arbeitet seit Jahren so hart daran, die Möglichkeit dazu zu bekommen, wie Nordmazedonien. Um von der europäischen Gemeinschaft akzeptiert zu werden, war das östlichste der ehemals jugoslawischen Länder sogar bereit, seinen Namen zu ändern.
Ewiger Nachbarschaftsstreit
Der südliche Nachbar Griechenland hatte aufgrund der gemeinsamen Geschichte - und weil einige Regionen im Norden Griechenlands ebenfalls Teil des historischen Mazedoniens sind – den Zusatz „Nord“ im Namen gefordert. 2019 nannte die Regierung in Skopje ihre Nation mittels einer Verfassungsänderung um, Athen war zufrieden und machte den Weg für EU-Beitrittsverhandlungen frei.
Seither ist man kaum weitergekommen. Das liegt vor allem am Nachbarn im Osten: Unmittelbar nachdem der Streit mit den Griechen beigelegt war, ist ein neuer mit den Bulgaren ausgebrochen, dessen Beilegung seit längerem am Stolz beider Nationen scheitert.
Es geht um die jeweilige Auslegung der gemeinsamen Geschichte, Bulgarien blockiert seither den Weg Nordmazedoniens in die EU. Schallenbergs dritter Besuch in Skopje innerhalb eines Jahres ist also ein weiterer Versuch, in diesem Konflikt zu vermitteln.
Griechische oder slawische Vergangenheit?
Bei der Fahrt durch die Hauptstadt kann von holprigem Schotter keine Rede mehr sein. Hier wird die einzigartige Identität, die sich die Mazedonier selbst zuschreiben, seit gut einem Jahrzehnt besonders deutlich: Im Zentrum reihen sich gipsweiße Monumentalbauten in klassisch-griechischem Stil aneinander. Säulenfront an Säulenfront. Baujahr 2014.
Dass Nordmazedonien gerade die antike, griechisch-makedonische Vergangenheit der Region so hoch hängt, obwohl das Staatsgebiet seit dem 7. Jahrhundert von Slawen besiedelt ist, sehen viele Bulgaren als Provokation.
„Nordmazedonien vertritt einige Auffassungen zur gemeinsamen Geschichte in der Region, die Bulgarien so nicht akzeptieren kann. Das geht bis ins Mittelalter zurück“, sagt der bulgarische Politikwissenschafter Daniel Smilow.
Die Regierung in Sofia fordert deshalb drei Dinge. Einerseits, dass ein Satz in die mazedonische Verfassung aufgenommen wird, der betont, dass Bulgaren am Aufbau des Staates beteiligt waren. Außerdem sollen die ethnischen Bulgaren dort offiziell als Minderheit anerkannt werden. Sie machen laut der letzten Volkszählung im vergangenen Jahr rund 0,2 Prozent der mazedonischen Bevölkerung aus.
Zumindest zu letzterem scheint man in Skopje bereit zu sein. So erklärte der mazedonische Außenminister Bujar Osmani, der selbst der albanischen Minderheit angehört, am Dienstag: „Wir haben kein Problem damit, dass Bulgaren als Minderheit Teil der Verfassung werden. Multi-ethnische Demokratien können auf dem Balkan funktionieren, das haben nicht zuletzt wir gezeigt.“
Mit einer weiteren Verfassungsänderung in so kurzer Zeit könne man innenpolitisch aber nur verlieren: „Wenn man so etwas durchbringt ist man in den Augen der Opposition ein Verräter – und wenn man es nicht durchbringt, ein Versager.“
Die dritte bulgarische Forderung ist umso schwieriger, weil weniger konkret: Bulgarien soll in Nordmazedonien künftig positiver dargestellt werden, vor allem in Schulbüchern. „Die Stimmung in Skopje ist schon seit Jahrzehnten feindselig gegenüber Bulgarien“, sagt die bulgarische Journalistin Wessela Wladkowa.
In Nordmazedonien ist man anderer Meinung. Eine gemeinsame Historikerkommission beider Länder versucht, in regelmäßigen Sitzungen eine Lösung zu finden. Der Erfolg ist bisher überschaubar.
"Putin wird auf dem Balkan Unruhe schüren"
Im Rest der EU wird man angesichts der sturen bulgarischen Haltung zunehmend ungeduldig. Auch Schallenberg erklärte im Anschluss an ein Treffen mit der bulgarischen Außenministerin Teodora Genchowska: „Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat geostrategisches Denken auf EU-Ebene endgültig erforderlich gemacht. Wir müssen jetzt Gas geben. Sonst setzen sich im Westbalkan vielleicht andere Lebensmodelle und Weltanschauungen durch.“ Beiden Regierungen müsste klar sein, dass man von einem Balkan profitieren würde, der vollständig Teil der EU ist.
In Skopje wurde er noch konkreter: Es sei wahrscheinlich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin im Westbalkan „Unruhe schüren“ wird, so Schallenberg. „Letztlich geht es hier um unsere eigene Sicherheit.“
Für die habe kaum ein Land in der Region so viel getan wie Nordmazedonien. Die Regierung in Skopje versucht viel, um die Kriterien der EU zu erfüllen. Dazu zählt auch der Ausbau der Straßenverbindungen, der trotz mangelnder Gelder aus Brüssel vehement vorangetrieben wird. Auch nach Bulgarien, wo die Straße nach Gyueschewo noch eine einzige Baustelle ist.
In Schallenbergs Augen ist Nordmazedonien auch deshalb ein „Muster-Beitrittskandidat.“
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