Vor allem in der Sozial- und Finanzpolitik sind Freidemokraten und Grüne natürliche Gegner. FDP-Politiker wie Guido Westerwelle und Grünen-Frontmänner wie Joschka Fischer und Jürgen Trittin haben das einst in wechselseitigen Attacken vorexerziert.
Auch Christian Lindner und Robert Habeck stichelten in Talkshows regelmäßig gegeneinander. Legendär ist ihr Auftritt in der ARD-Sendung bei Anne Will 2019, wo sie wie ein Paar zankten („Darf ich einmal ausreden“; „Robert!“; „Du redest viel“).
Allerdings können die beiden einander durchaus leiden und kennen einander lange. Habeck hat als Minister in Schleswig-Holstein bereits eine Koalition mit der FDP verhandelt. Was sie noch verbindet: Beide sind die Gesichter ihrer Partei. Zwar versuchen die Grünen, Zweifel zu verwischen, wonach Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nach dem mäßigen Wahlergebnis geschwächt sei, aber die Berichte, dass Habeck in einer Regierung Vizekanzler werden soll, konterkarieren dies. Für ihn wäre es ein später Triumph. Dass er gerne die Kanzlerkandidatur übernommen hätte, ist bekannt: Er hat den Grünen einen neuen positiven Anstrich verpasst – und dazu beigetragen, dass sie zuletzt so erfolgreich waren.
Lindner wiederum hat die FDP nach ihrem Rauswurf aus dem Bundestag 2013 übernommen und wiederbelebt. „Man verdankt ihm den Wiedereinzug in den Bundestag und zwei Mal ein zweistelliges Ergebnis, das hat seine Autorität in der Partei noch einmal untermauert“, sagt der Politologe Uwe Jun.
Gleichzeitig steht er unter Druck, in einer Regierung möglichst viel für die FDP herauszuschlagen. Sie leidet unter dem Trauma, dass sie in ihrer Koalition mit der Union (2009–2013) kaum wahrgenommen und aus dem Parlament gewählt wurde.
Funktionieren könnte das, indem sich beide Parteien Projekte suchen. Bei der FDP müssten sie im Wirtschafts- und Finanzbereich liegen – „dort liegt ihre Identität. Hier müssen sie eine Verlässlichkeit gegenüber ihren Wählergruppen zeigen“, sagt Jun. Dass Lindner bei Gelegenheit schon Anspruch auf das Finanzministerium anmeldete, überrascht daher nicht. Was von ihm zu erwarten wäre? „Er drängt auf die Einhaltung der Schuldenbremse, sagt aber, dass man im Haushalt umschichten könne.“ Der 750-Milliarden-Euro-Fonds, mit dem die EU die Wirtschaft nach Corona beleben will, ist für ihn einmalig.
Allerdings ist das Finanzressort auch für die Grünen essenziell, um ihre Agenda durchzusetzen. Habeck meldete ebenfalls Interesse an. „Für die Grünen wird es wichtig sein, dass die nächste Bundesregierung beim Klimaschutz vorankommt“, so Jun. Sie müssten ihre Handschrift in den Bereichen Landwirtschaft, Energie und Verkehr durchsetzen – da bräuchten sie finanziellen Spielraum. Aber, egal was Grüne und FDP ausloten, sie werden noch ihrem dritten Partner Platz einräumen müssen. Die Beziehungsanbahnung könnte daher viel Zeit in Anspruch nehmen.
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