Ein Absturz mit Ansage: Tories fahren historische Niederlage ein
Ums Gewinnen ging es schon lang nicht mehr. Je näher der Wahltag kam, desto lauter warnte Premier Rishi Sunak, dass Labour eine „sozialistische Supermehrheit“ holen könnte. Eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus, da wäre Großbritannien „dem Untergang geweiht.“
Nur: Supermehrheiten gibt es in Großbritannien gar keine. Das Wort stammt aus den USA, wo es regelmäßig zur Angstmache dient. Bei den Briten reicht einfache Mehrheiten für jedes Gesetz; Sunaks Warnung war darum eher: eine Verzweiflungstat.
Die britischen Konservativen galten lang als die erfolgreichste Partei der Welt. Man nennt sich „natural party of government“, in den letzten 200 Jahren waren die Tories zwei Drittel der Zeit an der Macht, stets mit einem starken Parteiapparat und dem Boulevard im Rücken.
Jetzt hat sich die Stimmung gedreht. Die Tories sind bei der Wahl am Donnerstag massiv abgerutscht, wohl auf das historisch schlechteste Ergebnis seit Parteigründung.
Was ist da passiert?
"Zeit für Veränderung"
„Es ist Zeit für Veränderung“, schreibt selbst der Boulevardriese Sun, der jahrelang die verlässlichste mediale Bastion der Tories war. Jetzt unterstützt das Blatt Labourchef Starmer; nicht, weil der das bessere Programm hat. Sondern weil die Tories nur mehr für „Turbulenzen, Verrat und Chaos“ sorgen, wie es heißt.
Das stimmt damit überein, was Wähler sagen. Früher waren die Tories die Partei der Verlässlichkeit, diejenigen, die zwar nicht sympathisch, aber kompetent waren. Dieses Bild gibt es nicht mehr: Fünf Premiers hat die Partei in nur 14 Jahren verschlissen, 2022 gab es vier Innen-, vier Finanz- und fünf Unterrichtsminister. Zuletzt setzen Parteimitglieder Geld auf verfrühte Wahlen – kurz bevor Sunak eben die bekanntgab. Das „Gamblegate“ steht nun symptomatisch für die Partei: Man ist ein Haufen reicher Spieler, denen das Land egal ist.
David Camerons Erbe
Begonnen hat dieser Abstieg aber nicht erst jetzt. Die Wurzeln liegen bei David Cameron, der 2010 nach der Wirtschaftskrise überall den Sparstift ansetze, bei Gesundheit, Polizei, Bildung, Kommunen. Revidiert wurde dieser Kurs zehn Jahre lang nicht, die Folgen daraus spüren die Briten massiv: Bröckelnde Schulen, zahlungsunfähige Gemeinden oder absurde Wartezeiten auf Arzttermine – 10 Millionen Menschen warten derzeit auf Behandlungen, ein Fünftel davon seit mehr als einem Jahr. „Broken“ ist laut einer Umfrage das Wort, mit dem die meisten Briten gerade ihr Land beschreiben.
Dazu hat sich die Partei sich selbst zersplittert. Cameron wollte die Rechtspopulisten um Nigel Farage mit dem Brexitreferendum kleinkriegen; der Plan ging bekanntlich nach hinten los. Seither folgt eine Führungskrise der nächsten: Theresa May musste das undankbare Erbe Camerons verwalten, wurde dann von Brexiteer Boris Johnson entmachtet. Der stolperte wiederum von Skandal zu Skandal; seine Nachfolgerin Liz Truss trat nach nur 45 Tagen zurück.
Ihre „Trussonomics“ – Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung – wirken bis heute nach, ebenso wie der Brexit. Wären die Briten nicht ausgetreten, wäre ihre Wirtschaftsleistung um zwei bis fünf Prozent größer, sagen Experten – auch ein Grund, warum viele Wähler die Tories abstrafen.
Hardliner werden wohl übernehmen
In der Partei rüttelt man darum aber nicht am Brexitkurs, im Gegenteil. Auch eine Abgrenzung von Nigel Farages „Reformpartei“ ist nicht im Programm, obwohl die Briten laut Umfragen lieber das Original wählen als die Kopie – Farage liegt in Umfragen nicht allzu weit hinter den Tories.
Künftig werden dennoch noch kantigere Hardliner das Sagen haben. Im Gespräch sind Ex-Innenministerin Suella Braverman, die Obdachlosigkeit einst einen „Lifestyle“ nannte und als meistgehasste UK-Politikerin gilt, ihre Vorgängerin Priti Patel, deren Ja zur Todesstrafe lang als No-Go galt, und Gleichberechtigungsministerin Kemi Badenoch. Sie ist das Gesicht der britischen Anti-Woke-Bewegung - und eine der größten Hassfiguren der Regierung.
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