Ein Bestandteil der riesigen Geldtöpfe, die sich aus dem nächsten, siebenjährigem EU-Haushalt und der 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbauhilfe zusammensetzt, ist der neue Rechtsstaatsmechanismus. Diesen lehnen Orbán und Morawiecki kategorisch ab. Sie sehen darin ein „ideologisches Instrument“, das in die souveränen Rechte ihrer Staaten eingreift.
Sieht das die österreichische Regierung auch so?
Nein. Im Gegenteil – Bundeskanzler Sebastian Kurz bezeichnet „Rechtsstaatlichkeit und Reformen als Basis für die Auszahlung von EU-Geldern“. Damit stellt sich Kurz so wie 23 andere europäische Regierungen klar gegen die Blockade-Position Ungarns und Polens. Nur Sloweniens Premier Janez Jansa sympathisiert mit der Haltung Polens und Ungarns. Er selbst legte aber kein Veto gegen den Rechtsstaatsmechanismus ein.
Wie funktioniert dieser neue Mechanismus, der Rechtsstaatssünder einbremsen soll?
Eher noch als Ungarn würde wohl Polen diese Sanktionen zu spüren bekommen. Denn Warschau demontiert Stück um Stück die Unabhängigkeit der polnischen Justiz – was man in Brüssel als ein Einfallstor für Korruption sieht. Wenn durch diese Entwicklung die Veruntreuung von EU-Geldern droht, kann eine qualifizierte Mehrheit von EU-Regierungen Sanktionen beschließen. Dann würde der Geldstrom an Polen aus dem gemeinsamen Budget schmerzhaft gebremst.
Bei Ungarn, wo wohl Medien und die Freiheit der Wissenschaft gegängelt und Wahlgesetze verändert werden, wäre der Mechanismus schwerer auszulösen. Denn dafür müsste nachgewiesen werden, dass dem EU-Budget direkter Schaden entsteht. Manfred Weber, Orbáns Parteifreund und Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), versteht Ungarns Aufregung nicht: „Das ist ein entpolitisierter Mechanismus. Er bietet mehr legale Sicherheit.“ Letztlich könne jedes sanktionierte Land dann sofort den Europäischen Gerichtshof anrufen.
Wie könnte der Konflikt gelöst werden?
Ein zumindest symbolischer Erfolg wäre für Orbán und Morawiecki die offizielle Einstellung der laufenden Rechtsstaatsverfahren (Artikel-7-Verfahren) gegen Ungarn und Polen. Diese Verfahren haben sich als stumpfe Waffe erwiesen und laufen ohnehin ins Leere. Vor ihren Wählern daheim aber könnten die beiden Regierungschefs erklären, wie erfolgreich sie für ihre Staaten gekämpft hätten.Vorerst aber wird auf EU-Botschafterebene weiter verhandelt, um die Blockade zu lösen.
Und wenn das nicht klappt?
Dann könnte es für 2021 ein EU-Nothaushalt geben. Debattiert wird auch schon die Möglichkeit, Ungarn und Polen von den Coronahilfen auszuschließen und den Wiederaufbaufonds als einen Vertrag zwischen den übrigen 25 EU-Staaten zu organisieren. Polen würde damit in den nächsten beiden Jahren um nicht rückzahlbare Zuschüsse von 19 Milliarden, Ungarn von mindestens vier Milliarden Euro umfallen.Vorbild wäre dabei der nach der Finanzkrise 2008 gegründete Euro-Rettungsfonds ES. Dieser wurde zunächst auch als zwischenstaatliche und nicht als EU-Gemeinschaftsinstitution gegründet.
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