Blutspur ohne Ende: Der Nahostkonflikt und seine vielen Ursachen
Die Wurzel des Nahostkonflikts reicht genau genommen in das Jahr 70 nach Christus zurück. Da werfen die Römer in Palästina einen jüdischen Aufstand nieder. Rom – das ist damals eine Supermacht, deren Grenzen von den britischen Inseln bis nach Vorderasien, von der Donau bis nach Nordafrika reichen. Anführer der Römer gegen die Juden ist ein gewisser Titus.
Der wurde später noch Kaiser und galt als besonders mildtätig, weshalb ihm Jahrhunderte danach Wolfgang A. Mozart sogar eine Oper widmete ("La clemenza di Tito").
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Gegenüber den Juden zeigt Titus wenig Milde. Viele von ihnen werden versklavt oder vertrieben. Nach weiteren erfolglosen Revolten zwischen 115 bis 135 n. Chr. zerstreuen sich die Juden endgültig in alle Himmelsrichtungen (Diaspora). Wobei sie über die Jahrhunderte immer wieder systematischen Verfolgungen und Vertreibungen ausgesetzt sind.
Als Antwort darauf entsteht gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Idee des Zionismus. Das Wort leitet sich ab von Zion, dem Namen des Tempelberges in Jerusalem. Die Zionisten wollen einen eigenen jüdischen Staat. Und zwar – wenig überraschend – im "Gelobten Land". Dieses ist seit Jahrhunderten heiß umkämpft. Denn nicht nur für die Juden, auch für die Anhänger des Islam und des Christentums besitzt die Region eine enorme religiöse Bedeutung.
Die Pilgerstätten
Dort befinden sich viele ihrer wichtigsten Pilgerstätten. Seit dem 16. Jahrhundert gehört das Land, das seit dem Mittelalter hauptsächlich von Arabern bewohnt wird, zum Osmanischen Reich.
Der Idee der Zionisten folgend, strömen seit Beginn des 20. Jahrhunderts nun also wieder Juden nach Palästina. 1914 leben dort an die 40.000. Im Ersten Weltkrieg erobern die Briten Palästina, das sie nach dem Krieg auch verwalten. Sowohl den Arabern als auch den Juden versprechen die Briten Freiheit und Unabhängigkeit.
Doch das ist gelogen. Araber und Juden bekämpfen fortan die Briten. Aber auch zwischen Juden und Arabern kommt es immer häufiger zu Zusammenstößen. Denn in den 1930er- und 1940-Jahren nimmt die jüdische Einwanderung wegen der europaweiten Verfolgung durch die Nazis zu.
Die Briten gewinnen gegen Deutschland zwar den Zweiten Weltkrieg, sind danach aber pleite und verlieren ihr Empire. 1947 geben sie Palästina auf. Da leben im Land 1,3 Millionen Araber, die 90 Prozent des Bodens besitzen, und 600.000 Juden. Letztere rufen am 14. Mai 1948 den Staat Israel aus.
1896: Theodor Herzl, der Begründer der zionistischen Bewegung, veröffentlicht sein Hauptwerk "Der Judenstaat". Das Werk ist die Grundlage des jüdischen Nationalismus.
1933–1945: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden in Europa durch die Nazis lösen eine jüdische Einwanderungswelle nach Palästina aus. Dort kommt es bald zu Zusammenstößen mit den Arabern.
1948: Israel unter Premier David Ben-Gurion wird unabhängig. 700.000 Palästinenser werden vertrieben.
1967: Im "Sechs-Tage-Krieg" erobert Israel die Golanhöhen (von Syrien), das Westjordanland (von Jordanien), den Gazastreifen und die Halbinsel Sinai (von Ägypten). Sechs Jahre später überfallen arabische Staaten unter Führung von Ägypten und Syrien im sogenannten "Jom-Kippur-Krieg" Israel, das den Angriff jedoch abwehrt.
1967: Im "Sechs-Tage-Krieg" erobern die Israelis Ost-Jerusalem und damit das Areal rund um die "Klagemauer". Die gilt als Überrest jenes Tempels, der am 30. August 70 nach Chr. von den Römern bei der Niederschlagung des jüdischen Aufstands zerstört wurde.
1978: Auf Vermittlung von US-Präsident Jimmy Carter schließen Israels Premier Menachem Begin (re.) und Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat (li.) in Camp David einen Friedensvertrag ab. Sadat wird 1981 ermordet.
1993: Israel und die PLO schließen Frieden (Bild: Premier Izchak Rabin, li., mit US-Präsident Bill Clinton und PLO-Chef Jassir Arafat). Israel wird aus den 1967 besetzten Gebieten schrittweise abziehen. Rabin wird 1995 ermordet.
Seit 2005: Nach dem Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen übernimmt die Terrororganisation Hamas 2007 dort die Macht und unternimmt seither regelmäßig Angriffe auf Israel. Israel kontert mit Gegenschlägen.
Krieg von allen Seiten
Tags darauf überfallen Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien Israel. Israel gewinnt. Dank der Hilfe der USA. Von Beginn an ist der Nahostkonflikt ein Teil des Kalten Krieges zwischen dem Westen und dem Sowjetimperium. Der Westen unterstützt Israel, die Kommunisten die Araber.
Besonders fatal ist, dass die Israelis nach ihrem Sieg 700.000 Palästinenser aus ihrem Staatsgebiet vertreiben. Die flüchten in die angrenzenden Staaten, wo sie nicht willkommen sind und seither in Lagern leben.
Auf den ersten Nahost-Krieg 1948 folgen bis heute viele weitere.
Der für die Geschichte der Region wichtigste ist der "Sechs-Tage-Krieg" im Juni 1967. Die israelischen Truppen besiegen Ägypten, Syrien und Jordanien. Israel erobert Ost-Jerusalem und das Westjordanland von Jordanien, die Golanhöhen von Syrien sowie von Ägypten die Sinai-Halbinsel und den Gazastreifen. Wieder werden Hunderttausende Palästinenser vertrieben oder leben fortan unter israelischer Militärverwaltung.
1993 keimt kurz Hoffnung auf. Israel und die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), ein Bündnis palästinensischer Parteien, erkennen gegenseitig ihr Existenzrecht an. Die Fatah, die größte Partei innerhalb der PLO, schwört dem Terrorismus ab. Nicht jedoch die Hamas. Die ist während des Aufstands der Palästinenser (Erste Intifada 1987–1993) entstanden. Ihr Ziel: Die Vernichtung Israels.
1979: Schicksalsjahr für den Nahen Osten und die ganze Welt
Teheran, am ersten Tag des Monats Rabi’u l-awwal des Jahres 1399 nach islamischer Zeitrechnung. Am Flughafen ist der Teufel los. Ajatollah Ruhollah Khomeini (1902–1989) kehrt aus dem Exil zurück. Umjubelt von Hunderttausenden verkündet er den Gottesstaat. Das ancien régime unter Schah Reza Pahlewi ist gestürzt.
Die Gründe dafür waren zunächst wirtschaftlicher Natur. Das Land war wegen seiner Erdöleinkünfte reich. Doch die Einnahmen kamen bei der armen Landbevölkerung nicht an. Das Geld floss ins Militär. Der Schah wollte Großmacht spielen und sein Land nach westlichem Vorbild modernisieren. Das stößt der konservativen Landbevölkerung sauer auf. Religionsgelehrte nützen das. Einer von ihnen ist Khomeini.
Vom Exil aus verkündet er eine neue "Frohbotschaft": den islamischen Staat. Der Westen gilt als dekadent und verkommen. Daraus folgt: "Tod den USA" und "Tod Israel". Mit der Heimkehr Khomeinis an diesem 1. Februar 1979 nach christlicher Zeitrechnung entsteht den Israelis so ein Todfeind, der bis in die unmittelbare Gegenwart wirkt. Zählt der Iran doch zu den hauptsächlichen Unterstützern der Hamas.
Geiselnahme in Mekka
Die islamische Welt ist nach den Ereignissen im Iran elektrisiert. Auch Dschuhaiman al-Uteibi. Der charismatische al-Uteibi hat in Saudi Arabien eine Gruppe fanatischer Anhänger um sich geschart. Für al-Uteibi sind die Eliten des Landes dekadent und Sklaven der Amerikaner. Am 20. November 1979 stürmen seine Garden in Mekka die "Große Moschee" mit der Kaaba. Jenem heiligen Quader, der nach islamischer Überlieferung in seiner heutigen Form von Abraham und seinem Sohn Ismael errichtet wurde.
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Nur mithilfe französischer Sonderkommandos können die Tausenden Geiseln befreit werden. Hunderte bleiben tot zurück. Das Saudi-Regime hat in den Augen der islamischen Welt völlig versagt und wankt.
So schließen die Saudis in ihrer Not einen Pakt mit ihren religiösen Führern: Sie kaufen sich vom Terror frei, indem sie künftig islam-fundamentalistische Gruppen im Ausland unterstützen. Die Ersten, die davon profitieren, sind die Mudschahedin in Afghanistan. Dort marschieren am 25. Dezember 1979 Sowjettruppen ein, weil gegen das lokale sozialistische Regime rebelliert wird.
Die Mudschahedin erhalten Geld und Waffen. Aus den USA (weil es gegen die Sowjets geht), aus Saudi Arabien, aus dem Iran. Ihr Sieg wird Tausende junge Männer in der islamischen Welt inspirieren.
So wie den Afghanistan-Kämpfer Osama bin Laden und einen gewissen Abu Bakr al-Baghdadi. Der wird als Gründer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ Berühmtheit erlangen. Und alle werden sie ein Ziel gemeinsam haben: "Tod den USA" und "Tod Israel".
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