Welche rechtlichen Konsequenzen soll Israels Besatzungspolitik, die schon fast seit 60 Jahren andauert, haben? Stark gekürzt war das die Frage, zu der die UN-Generalversammlung den Internationalen Gerichtshof (IGH) Ende 2022 - also noch vor dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober 2023 - um ein Gutachten bat. Vor ein paar Tagen kam die Antwort.
Laut dem höchsten UNO-Gericht verstoßen Israels Besetzung palästinensischer Gebiete und auch seine Siedlungspolitik gegen internationales Recht. Israel mache sich faktisch der Annektierung schuldig, hieß es aus Den Haag. Das Land sei daher dazu verpflichtet, beides so schnell wie möglich zu beenden und alle Siedler aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren. Entstandene Schäden solle Israel außerdem „wiedergutmachen“.
Israel ist empört
Während die palästinensische Seite von einem „großartigen Tag für Palästina“ sprach, zeigte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sich von dem Gutachten empört, bezeichnete es als „Lügenentscheidung“. Das jüdische Volk sei „kein Besatzer in seinem eigenen Land“, so der Netanjahu.
Wie beim ersten Rechtsgutachten des Gerichtshofs zur israelischen Besatzungspolitik vor 20 Jahren, dürfte Israel sich also nicht an den Beschluss, der rechtlich auch nicht bindend ist, halten. Damals hatten die Richter erklärt, dass die von Israel im Westjordanland errichtete Mauer unrechtmäßig sei und abgerissen werden müsse. Sie steht nach wie vor.
EU stimmt Gutachten weitestgehend zu
Doch nicht nur für Israel, auch für alle von der UN anerkannten Staaten und Internationalen Organisationen verkündete der IGH nun Pflichten: Sie dürfen Israels Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten nicht anerkennen und Israel bei deren Aufrechterhaltung auch nicht unterstützen. Außerdem sollen die Vereinten Nationen Maßnahmen prüfen, um diese Präsenz zu beenden – ebenfalls „so schnell wie möglich“.
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell reagierte zu Wochenbeginn bereits mit einer Forderung an Netanjahu. Die israelischen Siedlungen seien „illegal“ und Israel müsse sie zurückziehen, das IGH-Gutachten bestätige hier die Position der Union.
Wie aber ordnen Experten den Beschluss ein? Und wie blickt die österreichische Regierung auf die Siedlungspolitik Israels, stimmt sie der EU-Position ganz zu? Der KURIER hat bei Völkerrechtler Ralph Janik und im Außenministerium nachgefragt.
„Komplette Niederlage“
Ralph Janik, Lektor an der Sigmund Freud Privatuniversität, sieht in der IGH-Entscheidung eine „komplette völkerrechtliche Niederlage für Israel“. Das Gericht habe mit dem Beschluss die Besetzung der palästinensischen Gebiete inklusive Ostjerusalems für illegal erklärt und als Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und gegen das Verbot von Segregation und Apartheid gewertet, ordnet der Experte ein. Das sei „vernichtend“.
Ob das Gutachten Auswirkungen auf die westlichen Waffenlieferungen an Israel haben könnte? „Der IGH hat betont, dass die Besetzung in keiner Weise anerkannt oder unterstützt werden darf. Das kann von Waffenlieferungen bis hin zum Kauf von Produkten aus den besetzten Gebieten reichen“, so Janik. Dass die USA, Israels wichtigster Waffenlieferant, nun nicht mehr liefern wird, gilt jedoch als so gut wie ausgeschlossen.
"Hindernis für die Zweistaatenlösung"
Österreich hält Israels Siedlungspolitik ebenfalls für „völkerrechtswidrig“. Sie sei ein Hindernis für die Zweistaatenlösung, so das Außenministerium auf Nachfrage, und man verurteile die Gewalt radikaler Siedler. Das IGH-Gutachten habe man „zur Kenntnis genommen“. Es werde derzeit noch umfassend geprüft. Vom Statement Borrells, die EU stimme dem IGH weitestgehend zu, distanzierte man sich aber – es war demnach „nicht mit den Mitgliedstaaten akkordiert“.
Zu Reibereien zwischen ÖVP und Grünen soll laut Profil das Strafverfolgungsverfahren gegen Netanjahu am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) geführt haben. Die ÖVP wollte sich demnach in einer Stellungnahme für Netanjahu einsetzen, die Grünen wollten keine solche abgeben.
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