Israel auf der Anklagebank: Handelt es sich um Völkermord?

ein alter Mann sitz allein und traurig auf einem Trümmerhaufen
Erstmals muss sich Israel vor einem internationalen Gericht für den Gazakrieg verantworten. Südafrika hat geklagt und beschuldigt das Land des Genozids. Heute beginnt die erste Anhörung.

"Das Leben in Gaza ist die Hölle", sagte eine sichtlich schockierte deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Dienstag in Rafah. Hier, außerhalb des Grenzzugangs zum Gazastreifen, stauen sich Hunderte Hilfs-Lkw, während nur ein Bruchteil der Nahrung, der Medikamente und des Wassers davon die zwei Millionen Palästinenser drinnen erreicht. Spätestens Anfang Februar sind laut UNO die ersten Hungertoten zu erwarten. 

Mehr als 23.000 Menschen, davon zwei Drittel Frauen und Kinder, sind während des dreimonatigen israelischen Kriegs gegen die islamistische Hamas ums Leben gekommen.

Israel begehe Völkermord, sagt die südafrikanische Regierung und reichte im Dezember Klage vor dem Internationalen Gericht in Den Haag ein. Heute, Donnerstag, beginnt die erste Anhörung.

Was will Südafrika mit der Klage erreichen? Und warum eigentlich Südafrika?

Die Hürden für eine tatsächliche Verurteilung Israels wegen Völkermordes sind hoch, und bis zum Ende eines Verfahrens kann es Jahre dauern. Südafrika geht es deswegen vor allem darum, zunächst eine einstweilige Verfügung des Gerichts zu erwirken – nämlich, dass Israel die Kämpfe sofort einstellen muss.

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Israel auf der Anklagebank: Handelt es sich um Völkermord?

Der Friedenspalast in Den Haag, Sitz des Internationalen Gerichtshofes

Südafrika sieht sich vollkommen solidarisch mit den Palästinensern. Regelmäßig wird Israel vorgeworfen, Palästinenser genauso zu diskriminieren wie die weiße Apartheid-Minderheitsregierung einst die schwarze Bevölkerung in Südafrika.

Wie kann einem Staat Völkermord nachgewiesen werden? Geht es dabei um die hohe Zahl der getöteten Menschen?

Völkermord gilt als "crime of all crimes", also das schwerste aller Verbrechen. Nachweisen muss das Gericht deshalb vor allem die Intention – nämlich "die Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören".

Und welche Beweise dafür legt Südafrika in seiner 84-seitigen Anklage vor?

Mit zahlreichen Zitaten israelischer Politiker, die zu extremen Maßnahmen gegen Palästinenser aufrufen, werden die Vorwürfe untermauert. Darunter eines von Vize-Parlamentssprecher Nissim Vatzuri: "Wir haben ein gemeinsames Ziel: den Gazastreifen vom Erdboden tilgen."

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 Bis hin zu einer früheren Parlamentsabgeordneten, die sagte: "In Gaza sind sie alle Terroristen, Hundesöhne, ohne Ausnahme. Sie müssen ausgelöscht werden, alle getötet werden."

Wie verteidigt sich Israel gegen die Vorwürfe?

Israel weist die Anschuldigung eines Genozids kategorisch zurück. Nach den verheerenden Terrorangriffen der Hamas am 7. Oktober, bei denen fast 1.200 Israelis getötet und 240 entführt wurden, nutze Israel sein legitimes Recht zur Selbstverteidigung. Ziel der israelischen Angriffe sei die Hamas und nicht die palästinensische Zivilbevölkerung. Zudem versuche Israel alles, heißt es von Regierungsseite, um den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten.

Kann der Internationale Gerichtshof eine Waffenruhe verordnen?

Der IGH könnte den sofortigen Stopp der israelischen Angriffe verlangen – doch das Gericht hat keinerlei Möglichkeit, dies auch durchzusetzen.

Israel würde deshalb seine militärischen Ziele wohl weiter verfolgen – so wie übrigens auch Russland, das sich ebenso wenig an die Vorgabe des Gerichtshofs vom März 2022 gehalten hat, die Angriffe gegen die Ukraine sofort zu stoppen.

Israel erhofft sich Unterstützung gegen die Klage von anderen Staaten, darunter auch von Österreich. Wird es sie bekommen? 

Vorerst werden Österreich, aber auch Deutschland keinerlei Stellungnahmen zur Klage abgeben. Man wolle die „richterliche Unabhängigkeit“ nicht antasten, heißt es. Ob der Vorwurf des Völkermordes gerechtfertigt sei oder nicht, müsse das Gericht klären. 

Nach den Anhörungen dürfte das Hauptverfahren erst in einigen Monaten beginnen. Dabei hofft Israel nach wie vor, Drittstaaten, darunter auch Österreich, als Streithelfer an seine Seite zu haben.

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