Benedikts "Gebrochenes Herz"
Zunächst die Fakten: Gerade einmal drei Tage nach Benedikts Tod am 31. Dezember gab Gänswein der katholisch-konservativen deutschen Zeitung Tagespost ein aufsehenerregendes Interview. Er erzählte, Papst Franziskus’ Entschluss, den lateinischen Messritus nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, habe Benedikt XVI. „das Herz gebrochen“. Dieser hatte ihn nämlich 2007 wieder eingeführt und dafür viel Beifall vom konservativen Flügel im Vatikan erhalten.
Am Tag der Trauermesse las man in italienischen Medien dann erstmals Auszüge aus Gänsweins Buch „Nichts als die Wahrheit“, das am 12. Jänner in Italien erscheint. Einer handelt von Franziskus’ Entscheidung, Gänswein 2020 von seinem Amt als Präfekt des päpstlichen Hauses auf unbestimmte Zeit zu beurlauben, damit der sich nur noch um den emeritierten Papst zu kümmern habe.
Gänswein schreibt dazu, er sei „schockiert und sprachlos“ gewesen, als Franziskus ihm mitgeteilt habe: „Sie bleiben Präfekt, aber ab morgen kommen Sie nicht mehr zur Arbeit.“ Benedikt XVI. soll seinerseits kommentiert haben: „Ich denke, Papst Franziskus vertraut mir nicht mehr, und deswegen sollst du mein Wärter sein.“ Zum Buch erklärt Gänswein selber, es sei ein persönliches Zeugnis „der Größe eines sehr sanften Mannes“. Ob es wirklich nur ein „Zeugnis“ ist oder ein Enthüllungsbuch mit viel Sprengstoff, wird sich in ein paar Tagen zeigen.
"Schattenfraktion"
„Es war in der Tat sehr forsches Marketing, Auszüge davon am Tag der Trauermesse zu veröffentlichen“ sagt Massimo Faggioli, Professor für Theologie an der Villanova University in Philadelphia, zum KURIER. „Ich kann nur vermuten, dass dahinter die Absicht steckt, schon jetzt die Weichen für das Konklave nach Papst Franziskus zu stellen.“
Die linksliberale Tageszeitung La Repubblica schreibt von einer „Schattenfraktion“, die schon immer gegen Papst Franziskus’ Reformen und Öffnungen war und sich jetzt in Stellung bringt. Zu dieser sollen unter anderem die deutschen Kardinäle Walter Brandmüller und Gerhard Ludwig Müller zählen sowie der US-Amerikaner Raymond Leo Burke und der aus Guinea stammende Robert Sarah.
Aussprache am Montag?
Papst Franziskus reagierte am Sonntag, ohne jedoch Gänswein zu nennen, und mahnte: „Geschwätz tötet“. „Wir sollten uns fragen: Bin ich ein Mensch, der spaltet, oder ein Mensch, der teilt?“ Groß war die Überraschung am Montag, als die Pressestelle des Vatikans mitteilte, Gänswein habe dem Papst einen Besuch abgestattet. „Schwer zu sagen, worüber sie gesprochen haben“, bemerkt Faggioli.
„Es stellt sich natürlich jetzt, wo Benedikt XVI. gestorben ist, die Frage, ob Franziskus für Gänswein ein Amt im Auge hat. Ich glaube nicht, dass er wieder Präfekt des päpstlichen Hauses wird.“ Der interne Kampf zwischen Konservativen und Reformern werde sich dagegen erst mit einem neuen Papst entscheiden, meint der Professor. Franziskus steht aber nicht alleine da.
Die Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz, Avvenire, schrieb in der Sonntagsausgabe wiederum: „Ratzinger war tiefsinnig, ausgeglichen, aufrichtig, jedoch nicht charismatisch.“ Und: „Mit seinem Tod will ihn jetzt der eine oder andere Flügel als Aushängeschild der Tradition nutzen. Benedikt XVI. hätte das jedoch nicht gewollt.“
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