Dabei war ihm, dem hellsichtigen Zeitdiagnostiker, bewusst, dass es keine Rückkehr zu früheren, vermeintlich besseren Zeiten geben könnte. In seiner Freiburger Rede im Rahmen seiner Deutschland-Reise 2011 hatte er von einer notwendigen „Entweltlichung“ der Kirche gesprochen, gleichsam die Kehrseite zur Entkirchlichung von Welt und Gesellschaft. Anders als vielfach dargestellt wurde das vom damaligen Papst jedoch nicht beklagt, vielmehr rief er dazu auf, in diesen Entwicklungen eine Chance zur Rückbesinnung auf das Wesentliche zu sehen.
Wie überhaupt das Bild des der Moderne feindlich gesinnten Pontifex zu kurz greift. Richtig freilich ist, dass Benedikt auch und gerade für eine pluralistische Gesellschaft die Wahrheitsfrage für unverzichtbar hielt. Und dafür warb, dass Christen ihre Wahrheit, ihr Welt- und Menschenbild, offensiv in den Diskurs einbringen sollten. Der Preis für das unbeugsame Festhalten an dieser Überzeugung war jene „sprungbereite Feindseligkeit“, welche Benedikt gegenüber seiner Person ausmachte.
In den wesentlichen Grundfragen gibt es zwischen Benedikt und seinem Nachfolger weniger Differenzen als gemeinhin angenommen. Franziskus ist – in dem Punkt Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. ähnlich – viel „politischer“, breitenwirksamer, massentauglicher. Und sein persönlicher Stil ist ein anderer. Atmosphärisch hat sich dadurch vieles geändert, auch entspannt, wie etwa die österreichischen Bischöfe übereinstimmend nach ihrem letzten Ad-limina-Besuch in Rom berichteten.
Die Menschenmassen der letzten Tage auf dem Petersplatz zeigen, dass Papsttum und Kirche noch immer, weit über den harten Kern der aktiven Katholiken hinaus, eine Aura umgibt, die viele in ihren Bann zieht. Über den Bedeutungsverlust der Kirche im Allgemeinen kann das freilich nicht hinwegtäuschen. Für Gläubige gilt, was nicht von ungefähr im Zeitungskopf des Osservatore Romano steht: „non praevalebunt“ – „die Mächte der Unterwelt werden sie (die Kirche; Anm.) nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Was das nach säkularen Maßstäben heißt, bleibt abzuwarten. Benedikts Wort von der „Entweltlichung“ dürfte jedenfalls eines seiner prophetischen gewesen sein.
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