Japans Premier hört auf: Wer führt das Land aus dem Skandalsturm?
Die japanische Politik steckt in der Krise, für manche Beobachter in der schwersten seit Jahrzehnten. Eine Krise, die mit dem Mitte August angekündigten Rückzug von Premierminister Fumio Kishida ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat.
Am Freitag, wenn die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) Kishidas Nachfolger wählt, wird sich ein neuer Premier daran versuchen dürfen, sie zu lösen – oder doch zum ersten Mal eine Premierministerin?
In anderen Ländern führt breite Unzufriedenheit mit der Regierung in der Regel zu deren Abwahl. Nicht so in Japan. Die LDP regiert das Land seit 1955 fast durchgängig. In die letzte Regierungsperiode ohne LDP-Beteiligung fiel die Fukushima-Kernschmelze 2011 – seither ist die Opposition zersplittert, führungslos und ohne Unterstützung.
Statt einer breiten Parteienlandschaft wird Japans Politik daher von unterschiedlichen Parteiflügeln innerhalb der LDP geprägt, die politisch teils weit auseinanderliegen und regelmäßig um Macht ringen.
Kishida, der scheidende Premier, ist auch deshalb an die Macht gekommen, weil er als Kompromisskandidat gilt, auf den sich die mächtigsten Fraktionen einigen konnten. Vorschusslorbeeren sehen anders aus.
Kishida feierte außenpolitische Erfolge
Dabei kann Kishida, zuvor jahrelang Außenminister, außenpolitisch durchaus Erfolge vorweisen. In Zeiten, in denen die Spannungen mit China und Nordkorea zunahmen, führte er Japan in eine neue Ära: Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vereinbarte er mit den USA eine Aufrüstung des japanischen Militärs.
Auch die Annäherung an den Nachbarn Südkorea, wo der Hass auf Japan wegen der fehlenden Aufarbeitung der japanischen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg bis heute groß ist, brachte Kishida internationale Anerkennung ein.
Ganz anders im Inland. Kishida war mit dem Versprechen angetreten, die leidende Wirtschaft nach der Pandemie wieder anzukurbeln. Doch Inflation und Lebenserhaltungskosten bleiben hoch, Kishida musste sogar Steuererhöhungen beschließen, um die Aufrüstung des Militärs zu finanzieren.
Auch deshalb wurde Japan in diesem Jahr von Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst.
Skandale um Skandale: Korruption, das Abe-Attentat und die Moon-Sekte
Vor allem aber wurde Kishidas Amtszeit von einer Reihe von Skandalen gebeutelt, die mit der Ermordung des Ex-Premiers Shinzo Abe im Juli 2022 ihren Anfang nahm.
Die Ermittlungen offenbarten, dass Abe und etliche Mitglieder seines Parteiflügels jahrelang die christliche, koreanische Moon-Sekte finanziell unterstützt hatten. Der Attentäter gab an, seine Mutter habe all ihr Geld an die Sekte verloren.
Ermittler durchforsteten die Parteifinanzen und entdeckten, dass etliche bedeutende LDP-Politiker – vor allem, aber nicht nur aus Abes Fraktion – seit Jahren im großen Stil Schmiergelder kassiert hatten. Darunter der Wirtschafts-, der Landwirtschafts- und der Innenminister sowie Kishidas Kabinettschef, die allesamt im Dezember zurücktraten.
Die Enthüllungen zeigten ein Grundproblem auf: Mit ihrem Macht-Monopol begünstigt die LDP Machtmissbrauch und Korruption.
Kishida musste seinen eigenen Sohn entlassen
Obwohl Kishida nie selbst betroffen war, wirkte er stets zögerlich und schien nicht Herr über die eigene Partei zu sein. Und dann war da noch die Sache mit seinem Sohn Shotaro.
Der 33-Jährige bekam einen Job im Stab des Vaters, schmiss jedoch Wochen später eine Party in dessen Amtssitz – Zeitungen veröffentlichten sogar Fotos, auf denen Gäste eine Pressekonferenz des Premiers nachstellten. Beschämt entließ Fumio seinen Sohn.
Kishidas Beliebtheitswerte stürzten zwischenzeitlich auf 14 Prozent herab. Vor einem Monat zog er die Reißleine und erklärte, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren: „Es ist wichtig, der LDP ein neues Gesicht zu geben.“
Drei Favoriten kristallisieren sich heraus
Am Freitag stimmen die LDP-Mitglieder in Tokio ab, wer dieses Gesicht sein soll. Aus den neun Kandidaten kristallisieren sich vorab drei Favoriten heraus: In Umfragen führt der 67-jährige Shigeru Ishiba; ein Urgestein, das bereits zum fünften Mal antritt und seit Jahren grundlegende Reformen der Partei fordert.
Sanae Takaichi (63)
Sie wäre die erste Frau an der Spitze Japans, ist jedoch die mit Abstand konservativste der drei aussichtsreichen Kandidaten. Als einzige ist sie gegen eine Verfassungsänderung, die eine Frau als Kaiserin ermöglichen würde.
Shinjiro Koizumi (43)
Der Ex-Umweltminister könnte zum jüngsten Premier der japanischen Geschichte werden. Er ist ein Populist, der verspricht, sich gleichzeitig mit China, Süd- und Nordkorea sowie den USA gutzustellen.
Für den Fall, dass er gewählt wird, hat Koizumi versprochen, direkt Neuwahlen auszurufen. Sollte er gegen Ishiba in eine Stichwahl gehen, werden ihm gute Chancen nachgesagt.
Shigeru Ishiba (67)
Der ehemalige Verteidigungsminister ist ein Urgestein innerhalb der LDP, er versucht bereits zum fünften Mal, die Partei zu übernehmen.
Das macht ihn allerdings für viele auch so glaubwürdig: Seit Jahren fordert Ishiba radikale Reformen der Partei. Er gilt als progressiv und ist bei Konservativen unbeliebt.
Dahinter folgt der populistische Ex-Umweltminister Shinjiro Koizumi. Er wäre mit 43 Jahren der jüngste Premier bisher und kündigte an, in dem Fall sofort Neuwahlen auszurufen.
Außenseiterchancen werden der erzkonservativen Wissenschaftsministerin Sanae Takaichi eingeräumt. Sie wäre die erste Frau an der Spitze Japans, ist aber als einzige Kandidatin dagegen, dass jemals eine Frau als Kaiserin regieren darf. Zudem gehörte sie der skandalumwitterten Fraktion des ermordeten Shinzo Abe an.
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