Grüne laden geflohene Tichanowskaja nach Österreich ein

Grüne laden geflohene Tichanowskaja nach Österreich ein
Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja beanspruchte den Sieg bei der Präsidentenwahl für sich. Nun hat sie das Land plötzlich verlassen.

Die österreichischen Grünen laden die aus Belarus geflohene Oppositionelle Swetlana  Tichanowskaja nach Österreich ein: "Ich habe heute mit ihr Kontakt aufgenommen und sie nach Österreich eingeladen", erklärte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, am Dienstag auf Twitter.

In einer Aussendung ergänzte sie: "Wir wollen aus erster Hand erfahren, wie es der Opposition in Weißrussland geht und gemeinsam ausloten, wie auch Österreich zu einer Beruhigung der aufgeheizten Lage und mittelfristig zu einem friedlichen Systemwechsel in Weißrussland beitragen kann."
 

Indes droht die EU mit Sanktionen: Die Wahl am vergangenen Sonntag sei "weder frei noch fair" gewesen, hieß es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung des EU-Außenbeauftragen Josep Borrell im Namen der 27 Mitgliedstaaten.

Die EU werde die Beziehungen zu Minsk auf den Prüfstand stellen und auch "Maßnahmen" gegen weißrussische Vertreter prüfen, die für "Wahlmanipulation, Gewalt gegen regierungskritische Demonstranten sowie willkürliche Festnahmen" verantwortlich seien. Allerdings hatte Borrells Sprecher zuvor bereits darauf verwiesen, dass für Sanktionsbeschlüsse die Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsländer gebraucht wird.

Die Unruhen in Belarus halten an. Auch am Dienstag kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Tausende Demonstranten errichteten Barrikaden, die Polizei feuerte Blendgranaten und Gummigeschosse ab. Sie soll Demonstranten aus der Menge gezerrt und mit Schlagstöcken verprügelt haben, wie Reuters vermeldete. Augenzeugen berichteten von blutüberströmten Menschen.

Swetlana Tichanowskaja - mutmaßlich die tatsächliche Siegerin bei den Präsidentenwahlen am Sonntag - hat das Land bereits verlassen. Sie hält sich im EU-Land Litauen auf. Die 37-Jährige sei nun in Sicherheit, teilte der litauische Außenminister Linas Linkevicius am Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter mit.

In der Hauptstadt Minsk kam unterdessen ein Demonstrant ums Leben. In der Hand des Mannes sei ein Sprengsatz explodiert, den er auf Spezialeinheiten der Polizei habe werfen wollen, teilten die Behörden in Minsk mit. Am Montag kursierten zuvor Meldungen, dass ein Demonstrant gestorben sei, nachdem er von einem Polizeiwagen gerammt wurde. Andere Quellen - etwa der britische Independent - schrieben, der Mann sei noch nicht klinisch tot, die Situation allerdings aussichtslos. Am Montag kam es zu mehr als 2.000 Festnahmen.

Tichanawskaja geflohen?

Tichanawskaja begründete ihre Ausreise ins Ausland in einer Videobotschaft. "Ich dachte, der Wahlkampf hätte mich abgehärtet und mir die Kraft gegeben, alles durchzustehen. Aber wahrscheinlich bin ich doch die schwache Frau geblieben, die ich zu Beginn war", sagte die zweifache Mutter mit stockender Stimme. Das Video soll auf Druck weißrussischer Behörden aufgenommen worden sein, heißt es.

"Sie stand offensichtlich unter gewissem Druck und hatte kaum eine andere Wahl, als das Land zu verlassen", sagte Linkevicius. Offensichtlich sei sonst ihre Freiheit in Gefahr gewesen, also habe sie die angebotene Möglichkeit nutzen müssen, sagte Linkevicius. Tichanowskaja erhielt ein einjähriges Visum und eine Unterkunft in Litauen.

Die politisch unerfahrene Fremdsprachenlehrerin war im Juli als Kandidatin bei der Wahl in der autoritären Ex-Sowjetrepublik registriert worden. Sie war anstelle ihres inhaftierten Ehemannes angetreten. Sergej Tichanowski ist ein bekannter Blogger, der im Internet offen Korruption und Missstände unter Staatschef Alexander Lukaschenko kritisiert. Seine Frau wurde zur Hoffnungsträgerin der Opposition. Ihre minderjährigen Kinder brachte Tichanowskaja schon vor einiger Zeit ins Ausland.

Sie habe diese schwere Entscheidung selbstständig getroffen, niemand habe sie beeinflussen können, sagte sie. "Viele werden mich verstehen, mich verurteilen oder hassen. Aber Gott bewahre, dass die je vor so einer Wahl stehen müssen, wie ich es musste." Die Ausreise überraschte viele Beobachter. 

Der Minister hatte sich am Montagabend angesichts der Gewalt in Belarus besorgt gezeigt um die Sicherheit der zweifachen Mutter. Tichanowskaja hatte am Vortag noch bei einer Pressekonferenz gesagt, dass sie im Land bleiben werde und weiter kämpfen wolle. Sie beansprucht den Sieg bei der Präsidentenwahl vom Sonntag für sich.

Tichanowskaja hatte sich aber auch massiv bedroht gefühlt von den Sicherheitskräften um den autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko. Der 65-Jährige hat mit dem Einsatz der Armee gedroht, um seine Macht auch nach 26 Jahren für eine sechste Amtszeit zu verteidigen.

Montagmorgen hatte sich die Lage in Belarus zunächst wieder beruhigt. Tichanowskajas Oppositionsbewegung "Ein Land zum Leben" (Strana dlja Schisni) schrieb nach siebenstündigen Kundgebungen gegen Wahlfälschungen am Dienstag: "Das war ein historischer Abend".

Landesweiter Streik

Die Tage von Lukaschenko seien nach den Gewaltexzessen gegen die Bürger gezählt, hieß es. "Der Sieg über den Tyrann in den nächsten Tagen ist einfach offensichtlich", teilte die oppositionelle Plattform mit. Insgesamt war die Lage aber unübersichtlich. Es gab zunächst keine offiziellen Zahlen zu Verletzten und Festnahmen. Auf Bildern waren viele blutüberströmte Menschen zu sehen. Lukaschenko kann ich bisher auf einen starken Sicherheitsapparat verlassen. Er drohte mit dem Einsatz der Armee, um sich nach 26 Jahren weiter an der Macht zu halten.

Nach Meinung von Beobachtern war die Nacht auf Dienstag von noch mehr Gewalt geprägt als die zum Montag, als es etwa 100 Verletzte und 3.000 Festnahmen gegeben hatte. In sozialen Netzwerken kursierten Fotos von Uniformierten, die sich demonstrativ auf die Seite der Demonstranten stellten. Sie wurden als "Helden" gefeiert.

Für diesen Dienstag haben die Gegner Lukaschenkos zu einem landesweiten Streik in den Staatsbetrieben aufgerufen, um den Machtapparat zu brechen. Kommentatoren sprachen zuletzt von der "Geburt der Nation Belarus", die sich rund 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erst jetzt so richtig eine Identität gebe – und sich abnabeln wolle vom großen Nachbarn Russland.

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