Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot

Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot
Illegal veröffentlichte Stimmzettel belegen wohl, dass das Wahlergebnis manipuliert wurde. Die Wahlkommission sieht das anders.

Die Lage in Belarus (Weißrussland) bleibt brandgefährlich. Wasserwerfer, Gummigeschosse, Blendgranaten und Fahrzeuge hat der Sicherheitsapparat des Regimes eingesetzt, um gegen wütende Demonstranten vorzugehen. Auslöser: Landesweite Proteste, nach der mit höchster Wahrscheinlichkeit manipulierten Präsidentenwahl am Sonntag. Mehr als 3.000 Personen soll das Regime aufgrund der Proteste bereits festgenommen haben.

Das teilte das Innenministerium in der Hauptstadt Minsk am Montag mit. Es seien zudem fast 100 Verletzte auf beiden Seiten - bei den Sicherheitsorganen und den Bürgern - gezählt worden, hieß es.

Proteste und Betrugsvorwürfe nach Wahlen in Weißrussland

Mindestens ein Toter

Zumindest ein Demonstrant soll von einem Polizeiwagen gerammt und dabei ums Leben gekommen sein. In den sozialen Netzwerken kursierten Bilder von einem leblosen Körper. Der britische Independent berichtete, dass der klinische Tod noch nicht festgestellt worden sei, allerdings keine Hoffnung mehr bestehe, dass der Mann überlebe.

Das Innenministerium betonte, dass es keinen Todesfall gegeben habe. Die Menschenrechtsorganisation Wesna hatte zuvor bereits mitgeteilt, dass ein junger Mann durch die Gewalt der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sei.

Alles spricht für eine Wahlfälschung

Die Proteste gegen Wahlfälschungen nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend waren die schwersten, die die frühere Sowjetrepublik je gesehen hat. Die Wahlleitung rief den seit mehr als 26 Jahren regierenden Alexander Lukaschenko inzwischen für eine sechste Amtszeit als Sieger der Wahl aus.

Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja erkennt das Ergebnis nicht an. Die Opposition bekräftigte Pläne, weiter gegen "Europas letzten Diktator" zu protestieren. Wohl mit gutem Grund: Veröffentlichte Wahlzettel aus mehreren Wahllokalen legen nahe, dass das Endergebnis manipuliert wurde. In den Minsker Wahlbezirken Nummer 11 und 92 erreichte Tichanowskaja demnach 75, bzw. 59 Prozent der Stimmen. 

Wie die deutsche Bild-Zeitung berichtet, möchte die Opposition am Montag noch ein "echtes Wahlergebnis" präsentieren. Dafür sollen Wahlzettel aus 20 Prozent der Wahlkreise als Beleg dienen - die allerdings illegal veröffentlicht werden müssen. Ein weiteres eindeutiges Indiz für eine Wahlfälschung: In Deutschland lebende Weißrussen stimmten zu 91,4 Prozent für die Opposition.

Die Wahlkommission hatte Lukaschenko zuvor zum Sieger erklärt. Die Leiterin der Wahlkommission, Lidija Jermoschina, gab in Minsk das vorläufige Ergebnis bekannt, demzufolge Lukaschenko auf 80,2 Prozent der Stimmen kommt. Tichanowskaja, kommt demnach auf 9,9 Prozent.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten scharf kritisiert. "Die Bedrohung und gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstranten hat in Europa keinen Platz", erklärte von der Leyen am Montag auf Twitter und forderte die Behörden in Minsk auf, "sicherzustellen, dass die Stimmen genau gezählt und veröffentlicht werden".

In all dem Wirrwarr ist auf Twitter auch ein Video aufgetaucht, dass für gewisses Schmunzeln sorgt. Darauf sind Personen zu sehen, die mittels einer Leiter die Wahlstation 17 in Minsk verlassen - und zwar durch das Fenster, mit freundlicher Unterstützung der Polizei. Mit im Gepäck: ein praller Sack. Inhalt: natürlich unbekannt.

"Betrachte mich als Gewinnerin"

Tichanowskaja rief den langjährigen Amtsinhaber Lukaschenko zuvor zum Rückzug auf und erklärte sich selbst zur Wahlsiegerin. Die Regierung müsse darüber nachdenken, "wie sie die Macht friedlich an uns übergeben kann", sagte Tichanowskaja am Montag vor Journalisten in Minsk. "Ich betrachte mich selbst als die Gewinnerin dieser Wahl."

"Gestern haben die Wähler ihre Wahl getroffen, aber die Behörden haben uns nicht gehört", sagte Tichanowskaja. "Sie haben mit dem Volk gebrochen." Die Frau des Bloggers Sergej Tichanowski, der selbst inhaftiert und von der Wahl ausgeschlossen worden war, kritisierte auch das harte Vorgehen gegen Demonstranten und sprach von "unverhältnismäßigen Maßnahmen" der Polizei.

"Wir haben gesehen, dass die Behörden versuchen, mit Gewalt an ihrer Position festzuhalten", sagte die 37-Jährige. "So sehr wir die Behörden auch gebeten haben, sich nicht gegen das eigene Volk zu wenden - sie haben nicht auf uns gehört."

Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot

Ein Polizei-Truck bahnt sich seinen Weg durch die Demonstranten.

Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot

Es kam offiziell zu 3.000 Festnahmen.

Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot

Die Polizei setzte Wasserwerfer ein.

Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot

Es soll 100 Verletzte auf beiden Seiten geben.

Polizei kennt keine Gnade

Beobachter berichten von ausufernder Polizeigewalt und einem Todesopfer.

Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot

Eine Braut, die sich was traut.

Belarus: Klare Indizien für Wahlfälschung, gerammter Demonstrant wohl tot

Eigentlich gilt in Minsk ein Demonstrationsverbot. Aber nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses brachen alle Dämme.

Lukaschenko: Demonstranten "gesteuerte Schafe"

Lukaschenko holte seines Zeichens auch zum verbalen Gegenschlag aus. Die Demonstranten seien vom Ausland ferngesteuerte "Schafe", meinte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta. Die Behörden hätten Demonstranten abgehört und "Anrufe aus dem Ausland aufgezeichnet", sagte Lukaschenko.

"Es gab Anrufe aus Polen, Großbritannien und Tschechien. Sie habe unsere - verzeihen Sie mir - Schafe gesteuert", sagte Lukaschenko. Der seit 26 Jahren mit harter Hand regierende Staatschef kündigte zudem an, er werde nicht zulassen, dass das Land "auseinandergerissen" werde.

Belarus: Proteste nach angeblichem Wahlsieg von Lukaschenko

Österreich kritisiert Festnahmen

Die Grünen kritisieren die "Staatsgewalt" nach der Präsidentschaftswahl in Weißrussland. "Ich verurteile die brutale Gewalt gegen friedliche Menschen, die für ihre politischen und bürgerlichen Rechte eintreten, auf das Allerschärfste", betonte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, am Montag in einer Aussendung.

Österreich verfolgt die jüngsten Entwicklungen laut Außenministerium "mit großer Sorge". In einer Stellungnahme verurteilte das Außenministerium "entschieden die Gewalt gegen friedliche Demonstranten" und forderte die weißrussischen Behörden dazu auf, "die willkürlich verhafteten Menschenrechtsverteidiger und Journalisten umgehend freizulassen".

Auch die deutsche Bundesregierung meldete sich mit deutlichen Worten. Die Mindeststandards für demokratische Wahlen seien nicht eingehalten worden. Verurteilt werde auch Gewalt gegen friedlich demonstrierende Bürger und die Festnahme von Journalisten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. "Die politische Führung des Landes muss den Willen der Bürginnen und Bürger akzeptieren", forderte er. Es laufen Bemühungen für eine gemeinsame Reaktion der EU.

Tank Man 2.0

Ein Video, das bereits fast 100.000 Mal im Internet angeschaut wurde, zeigt, wie ein Mann in der Nacht zum Montag der Polizei sprichwörtlich die Stirn bietet. Zu sehen ist, wie er auf einen Einsatzwagen zugeht, der wiederum mit jedem Schritt des Demonstranten langsam zurücksetzt. Als er zu laufen beginnt, erhöhte auch das Auto das Tempo. Es wirkt, als hätten die Sicherheitskräfte Angst vor den Menschen in der Ex-Sowjetrepublik.

Die Szene soll sich vor einer Polizeiabsperrung auf einer Straße in der Hauptstadt Minsk abgespielt haben. Als der Mann den Ort verlassen wollte, lief ein Uniformierter in Einsatzmontur hinterher. Der Mann war aber schneller als der Beamte und entkam. Bei Twitter wird der Demonstrant als einer der Helden der Proteste bezeichnet. Über ihn ist bislang nichts bekannt geworden.

 

Manch einer verglich das Video mit dem bekannten Foto eines Mannes, der 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking allein vor Panzern steht und versucht, damit den Konvoi aufzuhalten. Das Bild vom "Tank Man" ging um die Welt, als China damals die Proteste blutig niederschlug.

Kommentare