Wahl in Belarus: Ein Hauch von Revolution weht durch Minsk
Autokrat Lukaschenko will sich heute, Sonntag, erneut zum Präsidenten wählen lassen. Doch ihm bläst heftiger Gegenwind entgegen - und der hat mit drei Frauen, Social Media und Corona zu tun.
Aleksandr Lukaschenko unternimmt alles, um den „drei Grazien“ keine Bühne zu geben. Die große Kundgebung der Opposition in Minsk? Kurzerhand verboten. Das Dynamo-Minsk-Spiel, das sich die drei Politikerinnen ansehen wollten? Zufälligerweise abgesagt. Und die beiden DJs, die bei der großen Pro-Lukaschenko-Kundgebung die Perestroika- und Oppositionshymne „Peremen“ (Veränderungen) auflegten? Sind im Gefängnis.
Zufällig verhaftet
Heute, Sonntag, wird in Belarus gewählt, und Langzeit-Autokrat Aleksandr Lukaschenko steht dabei unter Druck wie selten zuvor. Grund dafür sind eben die „drei Grazien“, in Lukaschenkos Umfeld gern als die „drei Hexen“ tituliert. Swetlana Tichanowskaja, Ehefrau eines verhafteten Bloggers und Oppositionskandidaten; Weronika Zepkalo, deren Mann ebenso nicht zur Wahl zugelassen wurde und darum mit den Kindern nach Moskau floh; und Maria Kolesnikowa, die Wahlkampfmanagerin des Bankers Viktor Babariko, der ebenso antreten wollte und dafür ins Gefängnis kam. Kolesnikowa wurde am Samstag gleich noch einmal vorübergehend festgenommen. Ein "Irrtum", beteuerten die Behörden später. Auch Tichanowskajas Wahlkampf-Managerin, Maria Moros, ist schon wieder in Haft. Auch sie wurde am Samstag festgenommen, direkt vor ihrem Wahlkampfbüro.
Dass die drei gemeinsame Sache machen, wird in Minsk als „Sommer der Solidarität“, als Sommermärchen wahrgenommen, wie die belarussische Journalistin Hanna Liubakowa es nennt. Denn bisher hatte es Lukaschenko mit einer zersplitterten Opposition zu tun, dazu kamen Bürger, die ob einer moderat positiven Wirtschaftsentwicklung immer einigermaßen ruhig zu stellen waren. Jetzt – nach seinem desaströsen Umgang mit Corona und einer daraus resultierenden Wirtschaftsflaute – ist die Lage anders: „Die belarussische Gesellschaft hat sich verändert. Sie hat sich politisiert, sie will Veränderungen.“
Anders ist auch, dass die gewohnten Methoden nicht mehr funktionieren. Schon im Juni ließ das Regime eben wegen der aufkeimenden Unzufriedenheit im Land normale Bürger auf der Straße präventiv verhaften – präventiv, um Angst zu erzeugen.
Das hat allerdings das genaue Gegenteil dessen bewirkt, was beabsichtigt war: Immer mehr Menschen schlossen sich den Protesten an, und das nicht nur in den urbanen Gebieten, sondern auch am Land – das immer als Bastion Lukaschenkos galt.
Dass sie die Übergriffe von Polizei und KGB filmten, teils livestreamten und so dem ganzen Land zugänglich machten, ist eine der Triebfedern der Anti-Lukaschenko-Bewegung. Denn anders als viele andere Autokraten hat es der 65-Jährige nicht geschafft, die „sozialen Medien in Belarus unter staatliche Kontrolle zu bringen oder lückenlos zu überwachen“, sagt Franak Viačorka, Journalist aus Minsk.
Dieses Vakuum nutzt die junge Generation an Belarussen, die sogenannten Digital Natives. „Unterstützt werden sie dabei von den vielen Exil-Belarussen, die in den vergangenen Jahren das Land verlassen haben“, sagt er.
Wer aber glaubt, es wären nur die Jungen, die aufbegehren, irrt. Bei den Auftritten der „drei Grazien“ sieht man viele Ältere. Dass Tichanowskaja und ihre Mitarbeiterinnen dabei auch bewusst nicht nur russisch, sondern belarussisch sprechen, und statt der rot-grünen Fahne – einem Relikt aus Sowjetzeiten – die traditionelle weiß-rot-weiße aus dem Jahr 1918 schwenken, verleiht dem Ganzen auch einen Hauch neuen Nationalbewusstseins. Das Land ist seit Ewigkeiten fremdbestimmt, und Lukaschenko als Putin-Getreuer symbolisiert genau das.
Wird er, der selbst wirkt wie ein Relikt vergangener Zeiten, darum nun weichen müssen? Beobachter sind da vorsichtig. Sein Ergebnis wird wohl den gefälschten der Vorjahre ähnlich sein, da hatte er meist um die 80 Prozent. Am Sonntag erwartet man sich massenhaft Verhaftungen, „auch das Internet wird abgedreht werden“, sagt Franak Viačorka.
Dennoch: Der Hauch von Revolution wird sich so schnell nicht legen – da sind sich alle sicher.
Seit 1994 im Amt: Lukaschenko regiert das 9,5-Millionen-Einwohner-Land seit 26 Jahren.
Belarus oder Weißrussland? Belarus war stets fremdbestimmt – als Teil Polen-Litauens, durch die Zaren, als Sowjetrepublik. Trotz der Unabhängigkeit 1991 blieb die Abhängigkeit, viele propagieren darum den Begriff Belarus. Er verweist auf die Kiewer Rus, nicht auf Russland.
97 Prozent sind laut Oppositionsumfragen für eine Ablöse Lukaschenkos.
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