"Ich bin keine Politikerin"
Wie es dazu kam, erzählt viel über Weißrussland selbst. Dass Tichanowskaja antritt, hat Lukaschenko nämlich seinen eigenen Methoden zu verdanken. Er ließ im Frühling Tichanowskajas Mann Sergej festnehmen, ebenso wie drei weitere aussichtsreiche Oppositionelle. „Ich bin keine Politikerin. Das ist mein Mann, der kandidieren wollte und deshalb im Gefängnis ist“, sagt sie darum stets. Tichanowskij, ein Blogger, stellte das Regime mit simplen Videos bloß. Er fuhr durchs Land, fragte einfache Leute, was ihnen in Weißrussland (Belarus) nicht passe. Die Antwort meist: Lukaschenko.
Woran das liegt? „Zum einen an Lukaschenkos zynischen Umgang mit der Coronakrise“, sagt Hanna Liubakova, Journalistin aus Minsk, in einer Videokonferenz des Thinktanks Atlantic Council. Er tat Covid-19 als „Hexerei“ ab, machte sich über Erkrankte lustig. „Früher hat er sich stets für Schwächere, Ältere eingesetzt“, sagt sie, was ihm – in Kombination mit einem sozialistisch gefärbten Wohlfahrtsstaat – stabile Beliebtheit sicherte.
Der unbeliebte "Batka"
Jetzt schwächle die Wirtschaft und er gebe nicht mehr den liebenden Landesvater, genannt „Batka“, sondern den abgehobenen Autokraten. Tichanowskaja etwa empfahl er, den Unterschied zwischen Panzerwagen und Panzer zu lernen – geht es nach Lukaschenko, sollen nämlich künftig nur mehr Kandidaten mit Wehrdienst bei Wahlen antreten dürfen – sprich: Männer.
Dass er Tichanowskaja androhte, die beiden Kinder wegzunehmen – weswegen sie sie in die EU in Sicherheit bringen ließ –, komplettiert das Bild nur.
Die Pantoffel-Revolution
„Die Leute haben genug“, sagt Franak Viačorka, ebenso Journalist in Minsk, der selbst für sein Engagement im Gefängnis saß. Seit einer Dekade forme sich in Weißrussland ein neues Bewusstsein, gerade von vielen Gebildeten. „Viele, die früher nie politisch waren, unterstützen plötzlich die Oppositionskandidaten.
Lukaschenko werde „Kakerlake“ genannt, es ist von Pantoffelrevolution die Rede – „weil man mit Pantoffeln Kakerlaken bekämpfen kann.“
Das lässt auch in Russland die Alarmglocken schrillen. Schließlich setzt der Kreml seit Langem alles daran, Lukaschenko „im Amt zu halten, aber ihn zu schwächen, um ihn zu lenken“, so Viačorka. Dass der Kreml jetzt wieder Annexionspläne ventiliert – das Unionsprojekt gibt es seit Jahren, es scheiterte aber am Unwillen Minsks –, soll wohl den Druck erhöhen. Putin könnte sich so Luft verschaffen. Ihm täte – ob der Proteste im eigenen Land – ein zweites Krim-Szenario gut.
Publikumswirksame Festnahmen
Lukaschenko nutzt diesen Druck im Wahlkampf jedenfalls offensiv, wenngleich sein Land wirtschaftlich ohne den großen Bruder verloren wäre. So ließ er kürzlich 32 russische Paramilitärs publikumswirksam verhaften – weil sie, so der Autokrat, die Wahlen unterwandern wollten.
Die Opposition lässt sich davon nicht beeindrucken. Tichanowskaja versprach ihren 60.000 Anhängern nicht nur die weißrussische Souveränität, sondern auch neuerliche, freie Wahlen binnen sechs Monaten, wenn sie gewinnt.
Freilich, das ist unwahrscheinlich. Erwartbarer ist, dass Lukaschenko die Wahlen fälschen lässt, wenn er sie nicht sogar absagt. Was dann passiert? Viačorkas Aussichten sind düster: Es wird „wohl keine friedliche Lösung“ für den Konflikt geben, sagt er.
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