Frankreich zwischen Anti-Polizei-Demos und Beamtenprotesten

Frankreich zwischen Anti-Polizei-Demos und Beamtenprotesten
Anti-Rassismus-Demonstranten gegen Polizei, diese droht der Regierung mit Streik der Festnahmen.

Präsident Emmanuel Macron steckt schwer in der Klemme. Die französische Staatsführung wird einerseits von aufgebrachten Polizei-Gewerkschaften und andererseits von der hochschwappenden Anti-Rassismus-Bewegung in die Mangel genommen. Am Sonntag-Abend wird sich Macron bei einem TV-Auftritt (der ursprünglich nur der weiteren Lockerung der Anti-Corona-Maßnahmen gewidmet war) um eine beidseitige Beschwichtigung bemühen.  

In der abgelaufenen Woche kam es immer wieder zu heftigen Protestkundgebungen von Polizisten in Zivil. Die Beamten legten die Handschellen, die sie bei ihren Einsätzen mit sich tragen, auf den Boden. Einige drohten mit einem Einsatz-Streik und der Weigerung, Festnahmen durchzuführen.

Frankreich zwischen Anti-Polizei-Demos und Beamtenprotesten

Protestierende Menschenmassen vor dem Eiffelturm in Paris.

„Festnahme-Würgegriff“ verboten

Die Wut der Beamten entzündete sich an zwei Ankündigungen von Innenminister Christophe Castaner: die so genannte „Würgegriff-Festnahme“, bei der Polizisten den Hals einer Person umschlingen, um sie zu Boden zu ringen, werde nicht mehr zugelassen. Außerdem würden Beamte, im Fall eines „bestätigten Verdachts auf Rassismus“ sofort suspendiert. Für Rassismus in der Polizei gelte „Null Toleranz“.

Frankreich zwischen Anti-Polizei-Demos und Beamtenprotesten

Der französische Innenminister Christophe Castaner vor jener Pressekonferenz, bei der er verkündete, es werde "keinerlei Toleranz" gegenüber Rassismus in der französischen Polizei geben.

Damit reagierte Castaner auf die imposanten Aufmärsche gegen „rassistische Polizei-Gewalt“, die zehntausende Demonstranten und namentlich junge Menschen aus den ärmeren Vororten versammelten, und die auch wieder diesen Samstag in Paris und etlichen Provinzstädten stattfanden. 

Vertuschungsversuch der Behörden

Im Mittelpunkt dieser Bewegung steht das Komitee „Gerechtigkeit für Adama“. Der 24-jährige Adama Traoré, Sohn einer afrikanischen Familie, war 2016 bei einer Festnahme durch Gendarmen in einer Kleinstadt nördlich von Paris ums Leben gekommen. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute umstritten. Die Gendarmen hatten in einer Erpressungsaffäre nach einem seiner Brüder gefahndet und waren dabei auch auf Adama gestoßen. Dieser flüchtete und wurde schließlich wieder gefasst.

Unter Berufung auf medizinische Befunde behaupten die Behörden, der junge Mann sei an Vorerkrankungen und namentlich an einer Herzschwäche gestorben. Die Familie Traoré erbrachte ihrerseits Befunde prominenter Ärzte, die besagen, dass Adama erstickt sei, weil die Gendarmen zu dritt auf ihm gekniet hätten. 

Eine Schwester des Verstorbenen, Assa Traoré, eine Pädagogin für behinderte Kinder, wollte sich mit den anfänglich offensichtlichen Vertuschungsversuchen der Behörden nicht abfinden. Sie engagierte sich nicht nur auf ungemein zähe Weise für ein Justizverfahren gegen die beteiligten Gendarmen, sondern knüpfte auch systematisch Verbindungen zu Hinterbliebenen in ähnlichen Fällen.

„Tiefsitzende Angst“ vor Polizei

Menschenrechts-Organisationen klagen darüber, dass immer wieder in Sozialbau-Siedlungen junge Leute aus afrikanischen, karibischen oder arabischen Familien von Polizisten beschimpft, gedemütigt und manchmal auch schwer misshandelt werden. Die Mehrheit der jungen Menschen mit afrikanischen und arabischen Vorfahren, sind überzeugt, dass sie der Willkür rassistischer Polizisten hilflos ausgesetzt sind. Der Filmstar Omar Sy, der durch seine Rolle im Film „Ziemlich beste Freunde“ zu Weltruhm gelangte und in einer Pariser Satellitenstadt aufwuchs, erklärte: „Ich kenne diese tiefsitzende Angst, die wir schwarze Jugendliche verspürten, wenn die Polizei auftauchte.“

Frankreich zwischen Anti-Polizei-Demos und Beamtenprotesten

Demonstranten halten ein Banner hoch, auf dem "Wahrheit und Gerechtigkeit für Babacar" steht - einen schwarzen Franzosen, der 2015 mutmaßlich von Polizisten getötet wurde.

Eine gewisse Bestätigung dieser Behauptungen erfolgte auch durch jüngste Enthüllungen, wonach tausende Polizisten an einer Facebook-Gruppe teilnahmen, auf der rassistische Beschimpfungen von Afrikanern und Arabern üblich waren. Aus Wahlanalysen geht hervor, dass über fünfzig Prozent der Polizisten für die Rechtsaußen-Partei „Rassemblement national“ von Marine Le Pen stimmt.

Spießrutenlauf für Polizei

Allerdings gestaltet sich seit Jahren sogar der Streifendienst der Polizei in einigen Sozialbau-Vierteln zum Spießrutenlauf. Den Beamten wird immer wieder von Jugendlichen und Halbwüchsigen förmlich aufgelauert, sie werden mit umgebauten Feuerwerks-Raketen und sonstigen lebensgefährlichen Geschossen traktiert. Diese Angriffe richten sich auch manchmal gegen Einsätze der Feuerwehr.

Die Bewohner der Vororte und die Gesellschaft erwartet von den Polizisten oft Dinge, die schwer vereinbar sind: einerseits soll auch in diesen Gegenden die Sicherheit der Bürger garantiert werden und für Ruhe gesorgt werden, etwa wenn Jugendliche durch nächtliche Motorrad-Rodeos die Anrainer um ihren Schlaf bringen. Aber wenn die Polizei so ein Rodeo zu unterbrechen versucht und ein junger Motorrad-Akrobat dabei verunglückt, lautet der Vorwurf allsofort: die Beamten hätten den jungen Menschen absichtlich getötet – und Unruhen sind meistens die Folge. 

„Kaum zu bändigen“

„Wir haben es immer häufiger mit tobenden, ungemein aggressiven Delinquenten zu tun, die unter Alkohol oder Drogen stehen und kaum zu bändigen sind,“ konstatiert eine Polizei-Gewerkschaftler: „Wie sollen wir diese Leute festnehmen, wenn uns die einzig wirksamen und verhältnismäßigen Griffe verboten werden?“

Auch den Vorwurf willkürlicher und rassistischer Gewalt will dieser Polizei-Gewerkschafter nicht gelten lassen: „99 Prozent unserer Festnahmen verlaufen anstandslos. Und wenn wir uns nicht an die Vorschriften halten, wird das geahndet. Es gibt Rassisten in der Polizei, aber die Polizei als solches ist nicht rassistisch. Im Gegenteil: wir haben immer mehr Kollegen aus afrikanischen und arabischen Familien. Aber jetzt werden wir zum Sündenbock für alle Missstände in der Gesellschaft gestempelt“.

Amnesty International fordert Polizeireform

Amnesty International hat am Samstag eine tiefgreifende Reform der "Polizeipraktiken" in Frankreich gefordert. Die Situation erfordere eine "umfassende Antwort der Behörden", erklärte die Menschenrechtsorganisation.

Sie begrüßte die Ankündigung von Innenminister Christophe Castaner vom vergangenen Montag, Polizisten, die sich nachweislich rassistisch verhalten haben, "systematisch" zu suspendieren sowie umstrittene Polizeimethoden wie den Würgegriff bei Festnahmen zu verbieten. Dagegen hatten Polizisten am Donnerstag und Freitag in Paris und anderen Städten gegen den Vorwurf protestiert, dass in ihren Reihen latenter Rassismus herrsche.

Präsident Emmanuel Macron wird am Sonntagabend eine Fernsehansprache halten, in der er neben der Coronakrise auch die jüngsten Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus in den USA und Frankreich ansprechen dürfte.

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