Frankreich schärft bei Corona-Ausgangssperre nach
Die Kassiererin im Supermarkt auf der Pariser Rue Pelleport duckt sich ein wenig, um hinter der Barriere aus Pappe, die die Belegschaft vor den Kassen errichtet hat, Schutz zu finden. Aber es nützt kaum: Der Pensionist, der ihr eine Bierdose zuschiebt, ist auf Tratsch aus und beugt sich ihr entgegen.
„Es ist zum Heulen“, klagt sie anschließend: „Der Alte kommt alle zwei Stunden wieder für seine Bierration und will quatschen. Einige Kunden wollen noch immer nicht kapieren, dass sie hinter den Klebstreifen, die wir am Boden befestigt haben, Abstand halten sollen.“
Acht Tage nach Beginn der landesweiten Ausgangssperre in Frankreich ist ihre Einhaltung noch immer eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits haben sich die Straßen und Plätze im ganzen Land auf beeindruckende Weise geleert.
Die Bevölkerung Frankreichs, die von sich vielfach glaubt, sie bestünde aus unbelehrbaren Eigenbrötlern, die niemals auch nur annähernd an die „Disziplin der Deutschen“ herankämen, zeigt in ihrer überwältigenden Mehrheit kollektives Verantwortungsbewusstsein. Andererseits treten in dieser Situation Übertretungen in umso grelleres Licht.
„Ehrenerklärungsformular“
Mit Ausnahme der Beschäftigten besonders wichtiger Bereiche, allen voran der Spitalsbediensteten (für die es inzwischen eigene Öffi-Transporte in Paris gibt), dürfen die Franzosen nur mehr einmal pro Tag und einzeln aus einem triftigen Grund, wie etwa Lebensmitteleinkauf oder körperliche Fitness, ihre Wohnungen verlassen. Dabei muss man ein „Ehrenerklärungsformular“ mit sich führen, das man sich selber und täglich neu ausstellt.
Um Hintertüren zur Umgehung dieser Bestimmungen zu schließen, hat die Regierung soeben Verschärfungen beschlossen: Jetzt muss man auch die Uhrzeit seines Ausgangs auf den Formularen angeben und sich nicht weiter als einen Kilometer von seiner Wohnung entfernen.
Bilder von allzu zahlreichen, fröhlichen Joggern und Radlern hatten Ärzte und Krankenpfleger in Rage versetzt. „Ich habe nicht einmal mehr Zeit, um etwas zu essen oder auf die Toilette zu gehen, weil wir mit einer endlosen Flut von Neu-Aufnahmen kämpfen,“ berichtet eine Krankenschwester: „Uns geht das Schutzmaterial aus und bald haben wir nicht mehr genug Beatmungsgeräte für die Patienten, die uns unter der Hand wegsterben. Währenddessen sorgen Idioten draußen noch für die Verbreitung des Virus“.
Heikle Vororte
Unter diesem Druck entschloss sich die Regierung soeben auch zum Verbot der beliebten Freiluft-Märkte, die in etlichen Pariser Vierteln, ein- bis zweimal wöchentlich stattfinden. Bis zuletzt hatten sich Mengen vor den Ständen gedrängt.
Heikel bleibt die Situation in Vororten. Auch hier halten sich die meisten an die Ausgangssperre. Aber am Fuße einiger Wohnblöcke wurden Polizisten, wie schon in der Vergangenheit, von Jugendlichen mit Wurfgeschossen angegriffen.
Die Polizei hat Order bekommen, in den ärmeren Vierteln „mit Augenmaß“ vorzugehen, um einen „allgemeinen Aufstand“ zu vermeiden. Ein Sozialarbeiter erklärt: „Es ist schwer, Halbwüchsige, die oft in viel zu kleinen Wohnungen mit vielen Geschwistern ausharren müssen, von ihrem Plätzchen am Eingang des Gemeindebaus zu vertreiben. Die sehen ja auch im TV die vielen Jogger im Zentrum von Paris, und sie wissen, dass sich viele in einen Zweitwohnsitz mit eigenen Garten zurückziehen konnten. Und sie fragen: Warum die und nicht wir?“
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