Warschau zeigt sich solidarisch. Auf den Gebäuden flimmern die Nationalfarben Blau-Gelb, Kinder halten beim Schulgang die ukrainische Flagge in der Hand, und auch von Bussen und Straßenbahnen flattert sie, mit denen ukrainische Staatsbürger kostenlos fahren dürfen.
„Die meisten wollen vor allem eine heiße Dusche. Wir weisen sie darauf hin, dass sie sich innerhalb von 14 Tagen auf dem Ausländeramt melden müssen“, so Viktoria über die Ankommenden. Die Helferin spricht später mit einem nervösen Mann mit Militärrucksack, er will den Abendzug nach Kiew nehmen und sich den Streitkräften anschließen, obwohl die ukrainische Hauptstadt mittlerweile eingekesselt ist.
"Macht auf Kumpel mit Putin, he?"
Ukrainische Männer im Ausland sind von Kiew aufgefordert, sich den kämpfenden Truppen anzuschließen. Männern von 18 bis 60 Jahren ist es wiederum auf Dekret des Staatspräsidenten Wolodimir Selenskij nicht erlaubt, das Staatsgebiet zu verlassen.
Der kommende Zug aus Kiew ruft jedoch nicht nur Idealisten auf den Plan – zwei korpulente Männern buhlen um Mittelsmänner unter den Helfern – und bieten „hundertprozent legale Arbeit“ für die ankommenden Ukrainerinnen an.
Und als deutscher Staatsbürger wird man schon mal schief angeschaut, vor allem von Polen. „Und was macht ihr da wieder in Deutschland, macht auf Kumpel mit Putin, he?“, fragt ein Koordinator der Stadt, ein Mann um die fünfzig. Dass die Regierung in Berlin sich bei den Sanktionen und Waffenlieferungen lange sträubte, wurde an der Weichsel nicht begrüßt.
"Unsere Kinder leiden sehr"
Schließlich, nach fast sechs Stunden Verspätung, rollt der Zug aus Kiew ein, aus den überfüllten Waggons strömen die Frauen und Kinder auf den Bahnsteig. Manche mit eleganten Rollkoffern, manche mit improvisiert befestigten Taschen auf Gestellen, und einige mit Tränen in den Augen.
„Unsere Kinder leiden sehr“, meint eine Frau in Lammfelljacke und mit langen schwarzen Haaren, welche mit ihrer kleinen Tochter und der Mutter mit Kopftuch Auskunft gibt. „Danke Polen!“
Die Hilfsbereitschaft vieler Polen ist groß. „Wenn sie zu lange warten müssen, dann rufen Sie uns an“, meinen zwei ältere Frauen zu einer erschöpften Ukrainerin, die mit dem Regionalzug zur Koordinationsstelle für Unterkünfte am Westbahnhof fährt und nervös nach Taschentüchern für ihren sechsjährigen Sohn sucht. Ihre Flucht war überhastet, sie hat lediglich zwei Schulranzen als Gepäck dabei. Vielleicht war das der letzte Zug aus Kiew, der noch durchkam.
Solidarität und Heldentum
Polen ist für viele Ukrainer aufgrund der geographischen und sprachlichen Nähe eine wichtige Adresse, zumal dort schon 1,5 Millionen Ukrainer leben. Der polnische Grenzschutz zählt 281.000 Grenzübertritte aus der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar.
„Wir nehmen alle auf“ ist die Devise der Behörden, an den neun Straßengrenzübergängen gibt es derzeit keine Formalitäten-Hickhack. Dennoch sind die Schlangen von Autos mehrere Kilometer lang.
„Polen macht alles, um den Ukrainern das Leben zu erleichtern, die auf heldenhafte Weise ihr Vaterland verteidigen aber auch denen, die vor den Kriegshandlungen fliehen müssen“, so Michal Dworczyk, der Sprecher von Premierminister Mateusz Morawiecki.
„Solidarität“ und „Heldentum“, dies sind typische Schlagwörter im polnischen Selbstverständnis, und Putinfreunde gibt es in Polen in keiner Partei, zu sehr ist die Geschichte Polens und Russlands mit Konflikten belastet.
Nach einer Umfrage, die kurz vor dem russischen Großangriff erstellt wurde, sind 56 Prozent der Polen für eine Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge, nur 22 Prozent sprechen sich dagegen aus.
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