PRO
Die Ukraine-Krise hat unter anderem eines gezeigt: Ein Land, das sich verteidigen will, kann das auch tun. Gegen eine Übermacht wie jene des russischen Militärs läuft das womöglich nur auf eine Verzögerung des Unvermeidlichen hinaus, aber wie sich zeigt, zählt in diesem Krieg jeder Tag.
Hätte Russland den geplanten Durchmarsch unmittelbar geschafft, hätte sich der Westen nicht zu einer bisher ungekannten Geschlossenheit zusammenfinden können. Hätten harte (und koordinierte) Sanktionen nicht stattgefunden. Hätte die Bewaffnung der wehrhaften ukrainischen Bevölkerung nicht geklappt. Hätten viele Menschen nicht flüchten können.
Das wahrscheinlich nachhaltigste Ergebnis der gewonnenen Zeit: Die Ukraine hat ihre eigene, starke Erzählung in die Welt hinausgetragen. „Wir wollen unabhängig sein und zahlen dafür jeden Preis.“ Diese Moral strahlt nach innen und zu den Verbündeten: Niemandem ist wohl mit der Bedrohung durch ein entfesseltes Russland, dessen Machthaber Putin unverhohlen mit Nuklearwaffen droht. Aber die Geschichte des ukrainischen Widerstands hilft den Europäern, sich selbst zu definieren. Wir sind der Kontinent, der sagt: Bis hier her und nicht weiter. Auch wenn es uns Milliarden kostet, auch wenn wir mit der Bedrohung einer weiteren militärischen Eskalation leben lernen müssen. Dieser Kontinent ist sich so gewahr wie noch nie, auf welchen Werten er gebaut ist und wo er seine Zukunft sieht.
All das kann man nicht per Dekret verhängen. Wenn alle Regeln außer Kraft gesetzt sind, ist jedes Land gut beraten, solange wie möglich dafür zu sorgen, das Geschehen nicht aus der Hand zu geben. Es ist Zeit, dass Österreich einen ernst zu nehmenden Beitrag dazu leistet, sich und Europa zu schützen.
Philipp Wilhelmer leitet die Debatte im KURIER.
CONTRA
Es ist also so weit. Europa befindet sich in einer Situation, in der wir die Aufrüstung der Nationalstaaten wieder diskutieren. Diskutieren müssen. Das ist bitter, denn Aufrüstung bedeutet angesichts der Geschehnisse in der Ukraine nicht einfach, das Budget des Bundesheeres zu erhöhen. Es bedeutet, sich auszurüsten für potenzielle Kampfhandlungen.
Die deutschen Nachbarn haben es vorgemacht. Die Bundeswehr erhält 100 (!) Milliarden Sonderbudget. Sollte Österreich sich ein Beispiel nehmen und analog dazu zehn Milliarden Euro in die Aufrüstung investieren – für den Notfall, so unwahrscheinlich er auch sein mag? Nein.
2020 gab Österreich rund 0,8 Prozent des BIP für das Militär aus. Um eventuelle Invasoren ernsthaft abschrecken zu können, müssten es angesichts des desolaten Zustandes unserer Heeres wohl drei bis vier Prozent sein. Das ist jede Menge Geld, das gerade jetzt anderswo gebraucht wird. Man stelle sich vor: zehn Mrd. für die Pflege, zehn Mrd. für die Bildung, zehn Mrd. für den Klimaschutz...
Darüber hinaus kann die Antwort auf die Angst vor der Aggression Russlands doch nicht die Einzelaufrüstung der Nationalstaaten sein – wenn, braucht es Bündnisse. Auch das NATO-Mitglied Deutschland müsste keine 100 Mrd. locker machen, ist es doch Sinn und Wesen der NATO, dass nicht jeder alles kauft, sondern man gemeinsam über das Vorhandene verfügt.
Das neutrale Österreich kann kein NATO-Mitglied werden. Der Vertrag von Lissabon ermöglicht aber theoretisch die Teilnahme an einer EU-Armee. Ist das klug? Nun ja, es wär eine Möglichkeit, uns dort einzubringen, wo wir kompetent sind, z. B. Gebirgsjäger zu entsenden, statt halbe Sachen zu machen.
In jedem Fall sollte die Debatte darüber jener über eine nationalstaatliche Aufrüstung vorangehen.
Elisabeth Hofer ist Redakteurin der KURIER-Innenpolitik.
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