First Lady Jill Biden: Herzenswärme im Weißen Haus
Den ersten bleibenden Eindruck hinterließ Amerikas neue First Lady am Tag nach der Amtseinführung ihres Gatten. Jill Biden hatte wie viele mit Kopfschütteln registriert, dass Tausende zur Sicherung der „Inauguration“ nach Washington abkommandierte Nationalgardisten um den 20. Jänner herum in Hauptstadt-Tiefgaragen auf dem Boden schlafen mussten. Weil das Pentagon keine Vorkehrungen getroffen hatte.
Als Stiefmutter des 2015 an einem Hirntumor gestorbenen Soldaten Beau Biden, Sohn des Präsidenten aus der Ehe mit seiner 1972 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen ersten Frau Neilia, beauftragte Jill Biden am Protokoll vorbei die White House-Bäckerei mit der Herstellung Dutzender Kekse. Sie ließ sie mit rot-weiß-blauen Schleifen verzieren und verteilte sie persönlich bei einer unangekündigten Visite am Kapitol an verfrorene Soldaten. „Ich wollte Ihnen heute nur Danke dafür sagen, dass Sie mich und meine Familie beschützen“, sagte Jill Biden und zauberte den Empfängern ein Lächeln auf die Gesichter.
Nahbar
Die kleine Geste steht prototypisch für die ersten Monate der promovierten Pädagogin, die am Donnerstag ihren 70. Geburtstag feiert. Und die nach vier distanziert-gekünstelten Jahren mit Melania Trump als First Lady Tag für Tag ein Rollenverständnis vorlebt, das sich an Kriterien orientiert, die lange verschüttet schienen: Herzenswärme, Nahbarkeit, Dezenz, Bodenständigkeit.
Jill Biden ist das, was die Amerikaner, auch solche mit republikanischen Wurzeln, „relatable“ nennen – nachempfindbar. Wenn sie in Washington mit Haargummi in eine Konditorei geht, um ohne Security-Großaufgebot einzukaufen, wirkt das stinknormal.
Jill Biden, 1951 als älteste von fünf Töchtern eines Sparkassendirektors und einer Hausfrau in New Jersey geboren und im rau-herzlichen Philadelphia aufgewachsen, umgibt nichts Artifizielles oder Mystisches. Sie taucht nicht wie ihre Vorgängerin wochenlang unter. Und dann mit erratischen Botschaften („Es ist mir echt egal, und euch?“) auf der Rückseite ihres Mantels wieder auf.
Am 1. April Stewardess
Stattdessen lässt sie am Valentinstag große, rote Herzen auf dem Rasen des Weißen Hauses aufstellen. Und am 1. April schickte sie, mit Perücke verkleidet als Waffeln austragende Stewardess „Jasemine“, die White House-Journalisten im Flugzeug auf dem Rückflug aus Kalifornien in den Selbigen.
Wo der dicht gedrängte Termin-Kalender Jill Biden hin verschlägt, sagt sie meist nach wenigen Minuten angenehm eisbrechend: „Nennen Sie mich bitte Jill.“ Und Michael LaRosa, ihr Presse-Mensch, hat klar gemacht, dass man nicht jedes Mal offiziell verlautbaren wird, welche Marke hinter dem Mode-Geschmack von „Flotus“ (First Lady of the United States) steht. Was nicht heißt, dass es ihn nicht gibt. Brandon Maxwell, Markarian und Gabriele Hearst sind aufstrebende US-Designer, mit und in denen sich Jill Biden wohlfühlt. Kitschig darf es auch manchmal sein.
Bei einem Besuch in Charleston/West Virginia, wo sie an der Seite des Hollywoods-Stars Jennifer Garner Corona-Impfskeptikern mit sanft-mütterlicher Strenge ins Gewissen redete, hatte Biden eine Valentino-Tasche mit einem integrierten Porträt des Künstlers Riccardo Cusimano am Handgelenk. Darauf zu sehen waren „Champ“ und „Major“, die beiden präsidialen Schäferhunde.
Jill Biden kam, anders als das professionelle Ex-Mannequin Melania Trump, mit einem Rucksack wertvoller Erfahrungen auf den 24/7-Laufsteg an der Pennsylvania Avenue. Als Gattin des Senators Joe Biden, bald im 45. Jahr, und als „Second Lady“ zu Zeiten seiner Vize-Präsidentschaft an der Seite von Präsident Barack Obama (2009 bis 2017) ist sie mit der Mechanik des Raumschiffs Washington lange vertraut.
Das hilft beim Vermeiden von Fettnäpfchen.
Bei ihrem First-Lady-Engagement wandelt sie auf mehreren bekannten Pfaden. Sie macht sich für die endgültige Bekämpfung der Geißel Krebs stark. Sie rückt, wann immer möglich, den hohen Tribut von Familien ins Rampenlicht, deren Kinder beim Militär sind oder waren. Und, ihr Leib- und Magenthema: Sie redet der Stärkung von Schulen, Schülern und Lehrern das Wort. „Ich höre es jeden Tag von Jill“, sagte Joe Biden bei der Vorstellung seines billionenschweren Hilfspakets zur Linderung der Corona-Krise, „ein Land, das uns bei der Bildung überflügelt, wird uns auch ökonomisch übertrumpfen.“
Leibthema Bildung
Auch darum ist Jill Biden integraler Bestandteil der Kommunikationskampagne des Weißen Hauses, das landauf, landab für ein mit Steuergeld finanziertes Novum wirbt: zwei Jahre kostenloses Universitätsstudium. In keiner Rolle ist sie authentischer, leidenschaftlicher. Was kein Wunder ist, geht sie als erste First Lady doch nebenbei einem Tagesjob nach: als Englisch-Lehrerin an einem Community College in Alexandria vor den Toren Washingtons.
Mit Jill Biden ist das Zwischenmenschliche zurückgekehrt. Dass eine Präsidenten-Gattin einem Präsidenten über den Rücken streicht, Küsse gibt, innige Blicke zuwirft und gemeinsam mit den Hunden vor dem Westflügel des Regierungssitzes auf dem Rasen Fang-den-Ball spielt, hat Amerika während der vier aseptischen Eistruhen-Jahre der Eheleute Trump nicht gesehen.
Wie weit sich die passionierte Ausdauer-Sportlerin noch von der Ära Trump abgrenzen will, wird die Zukunft des legendären Rosengartens beim Weißen Haus zeigen. Das Anfang der 60er-Jahre von Jackie Kennedys Landschaftsarchitektin Rachel „Bunny“ Lambert Mellon gelungen umgestaltete Areal war unter Frau Trump einem kühlen Rückbau unterzogen worden. Das trifft auf viel Missfallen. Fast 100.000 Unterzeichner einer Petition fordern die Wiederherstellung des lauschigen Zustands. Käme es so, dürften die Arbeiter, siehe oben, gewiss mit einer kleinen Anerkennung in Keksform rechnen.
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