Die FDP bringt sich selbst zu Fall – wieder einmal
Es kann einem schon vorkommen wie ein Déjà-vu – oder gleich wie mehrere: Umfragewerte zwischen vier und fünf Prozent, Unruhe in der Partei vor dem Bundesparteitag. Deswegen schnell ein "12-Punkte-Papier", ein Reformplan mit großen, klassisch wirtschaftsliberalen Versprechen wie der Reduzierung des Bürgergeldes, keine neuen Sozialleistungen für mindestens drei Jahre und einem Loblied auf die Schuldenbremse.
Die FDP sorgt seit Koalitionsantritt mit ihren stetig sinkenden Umfragewerten für Schlagzeilen. Das Trauma von 2013 wird heraufbeschworen, als die FDP nach Regierungsbeteiligung und ewigem Streit mit dem Koalitionspartner CDU aus dem Bundestag gefallen war.
Das sind alles andere als positive Aussichten. Wie konnte es soweit kommen?
Nun ist es so, dass es für das Kernthema der FDP – die deutsche Wirtschaft – generell gerade nicht so gut läuft. "Die Lage des Landes ist so, dass wir nicht weitermachen können wie bisher", sagte Finanzminister und Parteichef Christian Lindner unlängst in einem Interview. Zwar revidierte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck die Prognose für das Wirtschaftswachstum für das heurige Jahr nach oben, von 0,2 auf 0,3 Prozent. Auch die Inflationsrate ging zurück und lag im März 2024 bei 2,2, Prozent – so niedrig wie zuletzt im Mai 2021. Doch im internationalen Vergleich steht die Bundesrepublik schlecht da, dürfte mit ihrer Wirtschaftsleistung 2024 weltweit zu den schwächsten Ländern gehören.
Da hilft auch Lindners großes Versprechen einer "Wirtschaftswende", wie es in seinem "12-Punkte-Papier" heißt, nicht. Zumal das, was der Finanzminister darunter versteht, sich kaum umsetzen lässt. Die FDP ist immer noch der kleinste Partner der Ampel-Koalition. Das Papier richtet sich also viel mehr an die eigene – kleine – Kernklientel.
Doch die reicht nicht für solide Umfragewerte und schon gar nicht für den Bundestag. Und was potenzielle Wähler am meisten abschreckt, ist etwas, von dem die FDP einfach nicht abzurücken scheint: die Oppositionshaltung in der eigenen Koalition.
Oppositionsverhalten hat Methode
Koalitionskompromisse als Erfolge nach außen kommunizieren, das schafft die FDP nicht – anders als Grüne oder SPD. Zu oft stellen sich die Liberalen im Nachhinein öffentlich gegen Vorhaben, die sie mitverhandelt haben – so war es beim Heizungsgesetz, beim Haushaltsgesetz, so ist es aktuell beim Bürgergeld.
Dieses Verhalten hat Methode: So war es auch unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel und dem damaligen liberalen Außenminister Guido Westerwelle in der Regierung 2009 bis 2013. Das ewige Leidthema waren die staatlichen Sozialausgaben und das Arbeitslosengeld Hartz IV. Nach entscheidenden Regierungssitzungen meldete sich Westerwelle mit Gastbeiträgen in den deutschen Medien zu Wort und kritisierte die erst getroffenen Beschlüsse. Der Streit ging soweit, dass Merkel und Westerwelle eine Zeit lang nur mehr über offene Briefe in den Medien kommunizierten.
Damals wie heute zeigen sich die Wähler wenig erfreut über das Verhalten der FDP: In einer ZDF-Umfrage machten 29 Prozent der Befragten die Liberalen für die schlechte Regierungsbilanz verantwortlich – im Vergleich zu 23 Prozent bzw. vier Prozent, die das Problem bei den Grünen oder der SPD sahen.
Streit um Haushalt
Und trotzdem lässt sich Finanzminister Lindner nicht von seiner Oppositionshaltung abbringen. Mit den anderen Ampel-Parteien liegt die FDP gerade wegen der Haushaltsaufstellung fürs kommende Jahr im Clinch. Die Verhandlungen gestalten sich derart zäh, dass Lindner die Frist der Budgetabgabe der einzelnen Ressorts bereits um zwei Wochen nach hinten verschieben musste. Die einzelnen Ministerien forderten zu viel, so Lindner; die wiederum kritisieren sein eisernes Festhalten an der Schuldenbremse, obwohl die Bundesrepublik mehr Ausgaben habe als das Budget zur Verfügung stelle.
Beobachter rechnen längst mit ähnlichen Schwierigkeiten beim Haushaltsbeschluss wie im Vorjahr, mit einem Budgetloch von 20 bis 30 Milliarden Euro. "Ein Minister spielt König", kommentierte der deutsche Spiegel unlängst Lindners Verhalten, während selbst einzelne Union-Abgeordnete mittlerweile eine Reform der Schuldenbremse nicht mehr komplett ablehnen.
Was anders ist als vor einem Jahr: Den Koalitionspartnern Grüne und vor allem SPD um Kanzler Olaf Scholz ist das anhaltende Tief der FDP relativ egal. Bei den letzten Haushaltsverhandlungen hatte sich Scholz als ehemaliger, selbst sparsamer Finanzminister noch auf die Seite der FDP geschlagen. Heute gibt es keine öffentlichen Unterstützungserklärungen mehr – aber auch keinen öffentlichen Streit. Entweder hat man aus der öffentlichen Eskalation im Vorjahr gelernt – oder sie wird erst gar nicht zugelassen. Diskussionen über ein vorzeitiges Ampel-Aus, wie es von einigen Medien oder Oppositionspolitikern beschworen wird, darauf gehen Grüne- und SPD-Regierungsmitglieder aktuell gar nicht ein. "Koalitionen sind Koalitionen und Parteitage sind Parteitage. Jetzt gibt es mal wieder einen", kommentierte Scholz das "12-Punkte-Papier" der FDP.
Mehr Gesellschaftspolitik, weniger Klientelfokus
Wie kann sich die FDP retten? Die einen raten, andere Themen stärker zu betonen – etwa gesellschaftspolitische Freiheiten. Der Parteienforscher Uwe Jun von der Universität Trier verweist im Gespräch mit der Apa auf den Erfolg der FDP beim Thema Corona: Damals verfolgten die Liberalen einen Kurs, der im Gegensatz zur Regierung Merkel möglichst wenig staatliche Reglementierung vorsah. Das Ergebnis bei der Bundestagswahl 2021: 11,4 Prozent und Regierungsbeteiligung.
Ähnlich war es nach Westerwelles Outing als homosexuell – als erster offen schwule Bundesminister holte er viele Wechselwähler ab, die die FDP mit ihrer Fixiertheit auf Klientelpolitik davor nicht erreicht hatte.
Auf welches Thema sich die FDP stürzen könnte, liegt eigentlich auf der Hand: die EU-Wahl im Juni. Die Europäische Union als Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsprojekt vereint, was sich die FDP auf die Fahnen schreibt. Sie schickt eine ihrer derzeit bekanntesten und polarisierendsten Figuren nach Brüssel: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, bekannt für ihre lautstarke und bedingungslose Unterstützung der Ukraine. Die Wahl wird von Beobachtern als die wichtigste des Jahres für die FDP gesehen, hier müssen die Liberalen punkten. Denn bei den ausstehenden Landtagswahlen im September in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg dürfte die Partei sehr wahrscheinlich überall – wie bei den meisten Landtagswahlen 2023 – den Einzug in die Parlamente verpassen.
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