Haushaltskrise: Das deutsche Leiden an der Schuldenbremse
Die Regierung muss sich beeilen, will sie das Budget 2024 vor Weihnachten verabschieden. Streitpunkt sind wieder einmal wirtschaftspolitische Grundsatzfragen. Wird’s die Ampel überleben?
Selbst das Ausland feixt bereits: Ein griechischer Ex-Minister riet Berlin, es solle doch seine Inseln Sylt oder Helgoland verkaufen, "um schnell große Summen aufzubringen" – in Anlehnung an derartige Vorschläge, als Griechenland mit der Euro-Krise zu kämpfen hatte.
Man nutze "jede freie Minute", versicherte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Sonntag im ZDF; Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) musste sogar seine Reise zur COP28 absagen: Eine Einigung für das Budget 2024 muss her, am besten noch vor Weihnachten. Am Mittwoch tagt die Regierung; in den vergangenen Tagen hatte das Triumvirat Olaf Scholz, Habeck und Christian Lindner, der Kanzler und seine Vizes, beraten, um in Grundsatzfragen auf einen grünen Zweig zu kommen.
Auslöser war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das Neuverhandlungen zum Budget 2023 nötig machte. Die Ampel-Regierung hat sich mittlerweile auf einen Nachtragshaushalt und eine rückwirkende Notlage geeinigt. Den hält der Rechnungshof allerdings für "verfassungsrechtlich äußerst problematisch". Jetzt geht es um das Budget für 2024. Finanzminister Lindner beziffert das Loch auf 17 Milliarden Euro. Woher das Geld kommen soll, dazu gibt es verschiedene Überlegungen.
Sparen – aber wo?
Eine Möglichkeit ist: sparen. Erste Förderungen wurden bereits gestrichen, unter anderem für Wärmenetze, Gebäude-Energieberatungen und E-Lastenräder.
FDP und CDU wollen auch die Sozialleistungen kürzen. Sie machen in Linders Haushaltsplan 2024 den größten Kostenposten des Budgets aus (38,5 Prozent), steigen von 166 auf 171 Milliarden Euro. Unter anderem wegen der zwölfprozentigen Erhöhung des Bürgergeldes, die ab Jänner in Kraft tritt: Die Grundsicherung beträgt dann 563 statt wie bisher 502 Euro im Monat, fünf Millionen Menschen beziehen Bürgergeld in Deutschland. Es gilt als Prestigeprojekt der SPD, auch die Grünen beharren darauf – wie auch auf die Einführung einer Kindergrundsicherung ab 2025.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Umwidmung von Kreditermächtigungen in der Höhe von 60 Milliarden Euro für nichtig erklärt. Geklagt hatte die CDU. Das Geld war im Etat 2021 zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie vorgesehen, die Regierung wollte es in den Klima- und Transformationsfond schieben.
Die deutsche Schuldenbremse ist seit 2011 im Grundgesetz verankert. Sie erlaubt lediglich eine Neuverschuldung von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein Aussetzen ist nur im Rahmen einer "außergewöhnlichen Notsituation" erlaubt. 2020, 2021 und 2022 wurde eine solche Notlage ausgerufen, zweimal wegen der Corona-Pandemie, vergangenes Jahr wegen des Krieges in der Ukraine. Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges gelten als Grund für die rückwirkend ausgerufene Notlage 2023.
450 Milliarden Euro macht das deutsche Budget 2024 aus.
Höhere Steuern wiederum, um den Budgettopf zu vergrößern – von der SPD wurde eine Erhöhung von Vermögens- und Erbschaftssteuer ins Spiel gebracht –, gelten als "rote Linie" für die FDP. Auch populistische Vorschläge wurden in die Debatte geworfen: Die Linke, ab Mittwoch nur mehr als Gruppe im Bundestag vertreten, fordert eine Vermögensabgabe von mindestens zehn Prozent für die zehn reichsten Milliardäre Deutschlands. Von der Grünenfraktion wiederum kam der Vorschlag einer Abschaffung des Dienstwagenprivilegs. Beides dürfte keine Mehrheit finden.
Die Notlösung: für das kommende Jahr abermals die "außergewöhnliche" Notlage verkünden und die Schuldenbremse aussetzen. Die Zeit berichtet, als Grund könnte erneut der Krieg in der Ukraine und die wirtschaftlichen Folgen herangezogen werden. Die Ampel könnte dies mit ihrer Mehrheit im Bundestag beschließen. Experten warnen hingegen vor einer "Veralltäglichung" der Notlage. Linder ist "nicht überzeugt".
Leidensthema Schuldenbremse
Fakt ist: Deutschland hat sich den "Knebel" Schuldenbremse selbst angelegt, sie ist seit 2011 im Grundgesetz verankert. Und zeigt Erfolg: Heute ist die Bundesrepublik weniger hoch verschuldet als andere Industrieländer: 2023 betrug die Gesamtverschuldung 65,9 Prozent des BiP (zehn Prozentpunkte weniger als Österreich).
Trotzdem wird die Schuldenbremse nicht erst seit dem Karlsruher Urteil heftig diskutiert. Ökonomen jeglicher Couleur, darunter der unabhängige Beirat beim Wirtschaftsministerium, sprechen sich mittlerweile für eine Reform aus, etwa dass langfristige Investitionen von dem laufenden Budget ausgenommen und durch Schulden finanziert werden.
Für eine Verfassungsänderung braucht es jedoch eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Mit Unterstützung der Union ist aktuell nicht zu rechnen, auch wenn sie in der nächsten Regierungsperiode vor ähnlichen Finanzierungsproblemen stehen könnte – die grüne Transformation der deutschen Industrie wird auch in Zukunft Thema sein.
Wird's die Ampel überleben?
Ob das auch für die Ampel gilt, ist die Frage: Die Haushaltskrise wird als "GAU" bezeichnet, schlimmer als Corona-Pandemie, Energiekrise und das öffentlich ausgetragene Drama um das Heizungsgesetz. "Klatsche für den Kanzler: Nur jeder Zehnte hält ihn für führungsstark", titelte der Stern. Während die CDU in Umfragen an 30 Prozent herankommt, sehen einzelne Institute die SPD bei unter 15 Prozent. Am Wochenende steht der Parteitag an, Scholz würde auch dort wohl gerne einen Haushaltplan vorzeigen.
Bei der FDP wiederum steht eine Mitgliederbefragung über den Verbleib in der Regierung an. Diese ist nicht bindend, dürfte aber die in Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde kratzenden Liberalen zusätzlich unter Druck setzen.
Dennoch gilt ein vorzeitiges Aus der Regierung als unwahrscheinlich – alle Parteien wissen, dass sie bei Neuwahlen verlieren, während CDU und die rechte AfD gewinnen würden. Der Wille zur Macht ist der Kitt, der die Ampel zusammenhält.
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