Der Stopp gilt für sogenannte Verpflichtungsermächtigungen, aktuelle Staatsausgaben sind nicht betroffen. Es dürfen also keine Zahlungsverpflichtungen für die nächsten Jahre getätigt werden, zum Beispiel mehrjährige Investitionen oder Großprojekte. Die müssen nun mit vom Finanzministerium freigegeben werden. Jetzt wird der gesamte Haushaltsplan 2023 neu diskutiert, Ausgaben werden neu überprüft.
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Welche Optionen hat die Ampel-Koalition?
Es gilt, die 60-Milliarden-Euro-Lücke im Haushalt zu füllen. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten: Die CDU fordert eine Kürzung von Sozialleistungen, zum Beispiel den Stopp der kürzlich errungenen Kindergrundsicherung, Einsparungen beim Bürgergeld oder Heizungsgesetz. Möglich sind auch Abstriche bei wirtschaftlichen Förderungen: Die FDP will die fast zehn Milliarden Euro schwere Subvention für die Intel-Chipfabrik in Magdeburg kürzen. Gleichzeitig ist sie gegen Steuererhöhungen, während die Linke eine "Klimareichensteuer" für mehr Mittel im Budgettopf fordert.
Möglich ist auch ein abermaliges Aussetzen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, um zusätzliche Kredite aufzunehmen. Das fordert die SPD. Dafür braucht es gesetzlich jedoch eine "außergewöhnliche Notsituation" – 2022 war das die Abkoppelung von russischem Gas, davor dienten die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie als Grund. "Die Frage ist, ob der Klimawandel als Dauerherausforderung dafür reicht", sagt Albrecht von Lucke, Politologe der Blätter für deutsche und internationale Politik. Das sei zweifelhaft. Mittlerweile würden aber auch konservative Ökonomen argumentieren, dass zukunftsnotwendige Investitionen von der Schuldenbremse ausgenommen werden sollten.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich in der Debatte noch nicht zu Wort gemeldet.
Wackelt jetzt die Ampel-Regierung?
Der Politologe spricht von einem "GAU für die Ampel". Es zeige sich einmal mehr, "dass diese Koalitionspartner von Anfang an zwei unterschiedliche Staats- und Wirtschaftsverständnisse hatten: die FDP, die an der schwarzen Null festhält, und Grüne und SPD, die an einen unternehmerischen Staat glauben, der auch Schulden machen muss, weil sonst die Jahrhundertaufgabe, der Stopp des Klimawandels, nicht bewältigbar ist." Es brauche einen "völligen Neuanfang, fast so was wie neue Koalitionsverhandlungen", anderenfalls fehle der Regierung die Geschäftsgrundlage.
Trotzdem, glaubt von Lucke, dürfte sich die Regierung wohl auf eine gesichtswahrende Lösung einigen, die Koalition zwei weitere Jahre halten: "Die Parteien wissen, dass sie bei Neuwahlen alle verlieren würden. Der Wille zum Machterhalt ist der Kitt, der sie zusammenhält." Vor allem die FDP müsse sich angesichts der Umfragen, die sie nur noch knapp über der Fünf-Prozent-Hürde sehen, fürchten. "Mit diesem Wissen könnten die anderen Parteien den Liberalen in den Verhandlungen mehr abverlangen."
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Die Union wiederum, die vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt hatte und nun triumphiert, warnt von Lucke vor einem "Pyrrhussieg": "Falls die CDU nach der nächsten Bundestagswahl die Regierungsverantwortung übernimmt, wird sie dieselbe Frage beantworten müssen: Wo kriegen wir das Geld her, um das Land zukunftsfähig zu machen?"
Wie geht es weiter?
Am Dienstag kamen Rechtswissenschafter und Ökonomen im Bundestag zu Wort, um die Folgen des Verfassungsgerichtsurteils zu bewerten. Am Donnerstag hätte das Budget für 2024 beschlossen werden sollen. Einige Ökonomen argumentieren, dies sei erst möglich, wenn der Haushalt für das laufende Jahr verfassungsrechtlich abgesichert sei.
Aktuell prüft das Bundesverfassungsgericht auch die Nutzung des 200 Milliarden schweren und 2022 ermächtigten Wirtschaftsstabilisierungsfonds, den Scholz als "Doppel-Wumms" bekannt machte. Mit diesem Geld werden seitdem die Strom- und Gaspreisbremse finanziert, heuer flossen rund 32 Milliarden Euro an Energiehilfen aus dem Fonds. Weil die Kredite nach wie vor abgerufen werden, könnte das Bundesverfassungsgericht auch in diesem Fall "verfassungswidrig" urteilen – und damit das Budgetloch und die Krise der Ampel abermals verschärfen.
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