Deutschland startet in die Zeitenwende – aber ohne das nötige Geld

Deutschland startet in die Zeitenwende – aber ohne das nötige Geld
Berlin hat nach langem Gezerre eine Nationale Sicherheitsstrategie. Die Bundeswehr wartet aber noch auf Mittel.

Einen Kanzler und vier Minister in der Bundespressekonferenz, das hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Olaf Scholz sprach dementsprechend auch von einer „ungewöhnlichen und wichtigen“ Entscheidung, die ihn und seine Kollegen Annalena Baerbock (Äußeres), Christian Lindner (Finanzen), Boris Pistorius (Verteidigung) und Nancy Faeser (Inneres) dorthin geführt hat: Sie stellten stolz die Nationale Sicherheitsstrategie vor – die erste in der Geschichte der Republik.

Die Einigkeit, die sie demonstrierten, täuschte jedoch. Denn das 40-Seiten-Papier, das Scholz in die Kameras hielt, hätte schon im Februar präsentiert werden sollen. Angestoßen hatte Scholz die Debatte schließlich bei seiner „Zeitenwende“-Rede nach Kriegsbeginn, bei der er eine noch nie da gewesene Aufrüstung versprach.

Keine Revolutionen

Nur: Vor allem Scholz und Baerbock waren lange uneins, wie die Strategie aussehen soll – und wer im Fall des Falles das Sagen haben sollte. Das Endprodukt ist demnach auch kein revolutionäres Papier: Man klassifiziert Russland etwa „als die auf absehbare Zeit größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum“, China wird als systemischer Rivale bezeichnet, von dem man sich wirtschaftlich stärker abkoppeln will. Einen Nationalen Sicherheitsrat – ein Gremium, das schon seit Jahren debattiert wird – wird es nicht geben, seine Einführung scheiterte an der Frage, ob Kanzler oder Außenministerin die Letztverantwortung darüber haben sollen. Und zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO – vor allem die USA verlangen ja schon lange ab, dass Berlin zwei Prozent des jährlichen BIP in Verteidigung investiert – verpflichtet man sich zwar, allerdings nur mit dem schwammigen Zusatz „im mehrjährigen Durchschnitt“.

In dieser Formulierung liege auch der Haken der Strategie, sagen Experten. Denn Finanzmittel für die zwei Prozent sind eigentlich keine vorgesehen: Der Haushaltsentwurf 2024 strotzt nur so vor Sparvorgaben. Zwar wird das Verteidigungsressort davon geschont, aufgestockt wird aber freilich nicht. Um zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben, müsste das Budget von derzeit 17 Milliarden auf gut 75 anwachsen, 16 Prozent des Gesamthaushalts.

Unvorstellbar wäre das nicht. Die BRD investierte in etwa 1983 deutlich mehr in ihre Verteidigung, nämlich 3,03 Prozent des Haushalts. Um die NATO und Washington dennoch nicht ganz zu vergrämen, will man darum die Mittel des „Zeitenwende“-Sondervermögens nutzen, mit dem eigentlich die marode Bundeswehr auf den Stand der Zeit hätte gebracht werden sollen. Doch da versteckt sich der zweite Haken: Bei der Bundeswehr ist von den versprochenen 100 Milliarden kaum etwas angekommen – bisher wurden nur 0,6 Prozent aus dem Etat freigegeben, zugleich wird aber viel Material an die Ukraine abgegeben. Zudem steigen die Preise für Munition und Waffen massiv.

Darum brauche es deutlich mehr Geld, analysiert etwa Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations. „Wird die Nationale Sicherheitsstrategie nicht mit den nötigen finanziellen Mitteln hinterlegt, bleibt sie ein Haufen Papier.“ Alles andere wäre nur eine „Palliativbehandlung für die Bundeswehr.“

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