Am Sonntag wählen Bayern und Hessen einen neuen Landtag. Die FDP muss in beiden Bundesländern um den Wiedereinzug bangen – wieder einmal. Seit Regierungsbeteiligung flog sie aus mehreren Landesparlamenten. Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, gibt sich anlässlich der Halbzeit der Ampel-Koalition gegenüber dem KURIER selbstsicher, glaubt lieber an Überzeugungen als an Umfragen. Gegenüber dem liberalen Landesverband in Thüringen, der unlängst mit Stimmen der AfD ein Gesetz im Landtag beschlossen hat, zeigt er sich aber kritisch: "Das hätte so nicht passieren dürfen."
KURIER: Herr Kuhle, fürchten Sie sich vor den Wahlen in Bayern und Hessen? Die FDP muss in beiden Ländern um dem Wiedereinzug in den Landtag bangen – wieder einmal.
Konstantin Kuhle: Nein, wird fürchten uns nicht. Wer in der FDP ist, braucht starke Nerven. Das war schon immer so. Das heißt aber auch, dass wir mit Krisensituationen gut umgehen können.
Kann das die FDP? In den letzten zwei Jahren wurde sie eher als "Blockierer" in der Regierung wahrgenommen. Auch in bundesweiten Umfragen steht sie nicht gut da.
Es ist immer ratsam, die Politik zu machen, die man selbst für richtig hält, und nicht nur auf die nächste Umfrage zu blicken. Ich bin überzeugt, dass man am Ende der Koalitionsperiode auf diese Regierungstätigkeit blicken und sagen wird: Gut, dass die FDP dabei gewesen ist und aufs Geld, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und eine Ideologiefreie Klimapolitik geachtet hat.
Ist es da eine Genugtuung, dass die FDP zumindest im Migrationsstreit als Sieger rausgegangen ist? Und die Grünen als Verlierer?
Das deutsche Asylsystem muss dringend entlastet werden. Dafür braucht es eine europäische Lösung. Die lag auf dem Tisch, da konnte sich Deutschland nicht lächerlich machen, sondern muss auch Kompromisse eingehen. Deswegen bin ich froh, dass der Bundeskanzler ein Machtwort gesprochen hat. Genugtuung wäre aber in der aktuellen Zeit nicht angebracht.
Ist die FDP auch dafür, dass die EU Millionen Euro für das Flüchtlingsabkommen mit Tunesien ausgibt? Aktuell scheint dieses ja kaum nicht zu funktionieren.
Das Abkommen mit Tunesien hat Mängel. Aber wir werden die Situation in Europa nicht lösen können ohne Verabredung mit den Staaten in unserer Nachbarschaft. Was man nicht darf, ist zu sagen: Weil ein Staat nicht demokratisch ist oder sich in eine Richtung entwickelt, die wir als Europäer nicht gut finden, reden wir mit denen nicht mehr. Das wird den Migrationsdruck auf Europa nicht verringern.
Ist das eine Kritik am grünen Koalitionspartner und einer wertegeleiteten Außenpolitik?
Es gibt innerhalb der Grünen und anderer Parteien mitunter die Vorstellung, Deutschland könne seine Vorstellungen zu Asyl und Flüchtlingspolitik anderen Staaten vorschreiben. Ich wünsche mir etwas mehr Realismus von den Grünen – und mehr Sachlichkeit von der Union angesichts der letzten Aussage von Friedrich Merz (Merz hat behauptet, Geflüchtete nähmen deutschen Staatsbürgern die Termine beim Zahnarzt weg, Anm.) Vor allem, wenn man die Migrationsfrage parteiübergreifend und auch mit der Union lösen will.
Viele Kommunen verlangen akut Unterstützung. Die FDP ist jene Kraft in der Regierung, die Geld zurückhält.
Der Bund hat die Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung in den letzten Jahren stark finanziell unterstützt. Das ist auch richtig gewesen. Aber Geld allein hilft in der aktuellen Lage nicht. Es muss schnellere Verfahren geben, eine bessere Ausstattung der Behörden, die Personalkapazitäten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge müssen erhöht und es muss verstärkt auf Sachleistungen und Bezahlkarten gesetzt werden, um die irreguläre Migration nach Deutschland weniger attraktiv zu machen.
Unterm Strich müssen diese Maßnahmen dazu führen, dass die Kommunen merken, es tut sich etwas. Wir haben in Deutschland eine sehr angespannte und aufgeheizte politischen Stimmung. Es gibt verfassungsfeindliche Akteure, die sich das zu Nutze machen wollen. Das dürfen wir nicht zulassen.
Ist es dann sinnvoll, wenn die FDP gemeinsam mit der AfD (und der CDU) ein Gesetz auf Landeseben beschließt, wie es zuletzt in Thüringen der Fall war?
Das,was in Thüringen geschehen ist, hätte so nicht passieren dürfen. Man hätten alle demokratischen Parteien an einen Tisch kriegen müssen, um sowas zu verhindern. Ein Gesetz eine niedrigere Grunderwerbsteuer ist ja auch im Interesse der linken Parteien. Dass es keinen funktionierenden Gesprächskanal zwischen CDU, Grünen, SPD und FDP gibt, um ein solches Thema im Vorhinein zu besprechen, ist schade.
Was sagen Sie zu der These, dass vor allem ehemalige FDP-Wähler heute AfD- Sympathisanten sind?
Das ist nicht zutreffend. Umfragen zeigen, dass frühere Anhänger unterschiedlicher Parteien, aber auch frühere Nichtwähler heute die AfD wählen. Ich wünsche mir, dass alle demokratischen Kräfte um diese Menschen kämpfen. Die AfD ist eine im Kern rechtsextreme Partei, aber ihre Wähler sind nicht alle Nazis.
Konstantin Kuhle (34) war von 2014 bis 2018 Bundesvorsitzender der FDP-nahen Jugendorganisation Junge Liberale und ist seit Mai 2015 Beisitzer im FDP-Bundesvorstand. Seit 2017 sitzt Kuhle im Deutschen Bundestag, seit 2021 ist er stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion.
Halbzeit der Ampel-Regierung: Wie beurteilen Sie die Regierungsarbeit in den letzten zwei Jahren? Nach außen drangen vor allem Streitigkeiten.
Viele der Streits in der Bundesregierung sind Verteilungskonflikte: Nachdem in den letzten Jahren viel Geld für die Bewältigung der Corona-Pandemie und des russischen Angriffs gegen die Ukraine ausgegeben wurde, ist jetzt nicht mehr so viel Geld übrig. Die FDP setzt sich dafür ein, dass in dieser Lage die Priorität ganz klar ist: Wachstum in unserem Land zu generieren und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes anzukurbeln. Sonst können wir keine Sozialleistungen bezahlen. Klar wird man auch in den kommenden zwei Jahren merken, dass der Bundesregierung drei unterschiedliche Parteien angehören.
Gleichzeitig hatte diese Koalition mit einer Situation zu kämpfen, die nicht vorhersehbar war: ein Krieg, der die Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland offengelegt hat. Die Bundesregierung hat es geschafft, dass unser Land warm durch den Winter gekommen ist, keine Betriebe schließen mussten und alle privaten Haushalte mit Energie versorgt worden sind. Ich finde nicht, dass man sich dafür entschuldigen muss, dass das gelungen ist.
Wie passen Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit mit der Sparpolitik der FDP zusammen?
Eine zurückhaltende Fiskalpolitik ist ja gerade ein Beitrag dazu, dass die Inflation abnimmt. Deswegen ist es so wichtig, dass Christian Lindner und die FDP innerhalb der Regierung aufs Geld achten. Übrigens steht die Schuldenbremse im Grundgesetz, Christian Lindner hat sie sich nicht beim Frühstück ausgedacht. Die FDP forciert in den kommenden zwei Jahren den Bürokratieabbau und steuerliche Entlastungen, zum Beispiel eine Senkung der Stromsteuer. Auch das würde dazu beitragen, Wachstum zu fördern.
Kommentare