Herkömmliche Lebensmodelle würden infrage gestellt, "ein Prozess, der schon in den 80er-Jahren begann". Diese Verunsicherung würde "unverbrauchten, politischen Kräften nutzen, die versprechen, dass es in Zukunft wieder mehr so sein wird wie in der Vergangenheit".
Warum die FPÖ als seit Langem etablierte Kraft und Ex-Regierungspartei dennoch aktuelle Umfragehochs verzeichnet? "Weil sie es stets schaffte, sich neu zu erfinden", indem die Führung ausgetauscht und der Parteikurs klarer – nämlich klar rechter – wurde.
Mitte verliert, Rechte gewinnen
Was heißt der Rechtsruck aber konkret für das EU-Parlament? Die Europäische Volkspartei, kurz EVP, der auch die ÖVP angehört, dürfte zwar die größte Fraktion bleiben, muss allerdings wie schon bei der letzten Wahl 2019 mit Verlusten rechnen. Selbiges gilt für die Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D), bei der die SPÖ Mitglied ist.
Die rechtspopulistische Fraktion "Identität und Demokratie" (ID) könnte laut Studie zur drittgrößten Fraktion im EP aufsteigen (aktuell ist sie die zweitkleinste). Zur ID gehören neben der FPÖ Alice Weidels AfD, die italienische Lega von Matteo Salvini, Marine Le Pens französische Rassemblement National und die niederländische PVV von Geert Wilders.
Vielen Rechtsparteien ist die Gruppe aber zu extrem, daher gibt es noch eine weitere rechte Fraktion, die ebenfalls zulegen dürfte: Zu den "Europäischen Konservativen und Reformisten" (ECR) gehören die spanische Vox, die polnische PiS, die italienische Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni und die Schwedendemokraten.
Für EVP und S&D dürfte es künftig also schwieriger werden, eine Mehrheit im EU-Parlament zu bilden. Laut Studie würden ID und ECR nach der Wahl zusammen 25 Prozent der Abgeordneten stellen – und erstmals mehr Sitze haben als EVP oder S&D.
Feindbild EU
Hier äußert Heinisch jedoch Zweifel. Rechte Parteien hatten in der Vergangenheit Mühen, ihre Wählerschaft für die EU-Wahl so zu mobilisieren wie für nationale Wahlen, denn: "Die EU ist das Feindbild der Parteien und ihrer Wählerschaft. Warum also zur Wahl gehen, wenn man die Institution ablehnt?" Ein weiterer Knackpunkt: Werden es die EU-skeptischen Parteien plötzlich schaffen, zusammenzuarbeiten? "Nationalistische Parteien tun sich schwer, supranationalistische Politik zu machen."
Noch dazu sind sich die rechten Fraktionen alles andere als sympathisch: "In Skandinavien wird eine Zusammenarbeit mit der FPÖ als Post-Nazi-Partei etwa ausgeschlossen", so Heinisch.
Sollten sich die Blöcke dennoch zusammentun, dürfte die nächste Legislaturperiode von einer Blockadepolitik der rechten Fraktion geprägt werden – à la "make the Nationalstaat great again".
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