Was bringt die EU? Wie sich Europa im Alltag der Österreicher bemerkbar macht
Was soll die EU dem Bürger bringen? Robert Schuman, einer ihrer Gründerväter, hatte darauf eine klare Antwort: Frieden und Wohlstand. Das ist jetzt schon eine ganze Weile her, Schuman ist seit mehr als 60 Jahren tot. Viele Österreicher können sich an die Zeit vor der EU-Mitgliedschaft nicht mehr erinnern.
Wohl auch deshalb löst die Frage, was diese für ihren Alltag bedeutet, oftmals Ratlosigkeit aus. In der oberösterreichischen 2.000-Einwohner-Gemeinde Wolfsegg am Hausruck, wo die Autorin dieser Zeilen aufgewachsen ist, kommen die Antworten darauf ebenfalls nicht wie aus der Pistole geschossen - im Gegenteil.
Man kenne sich bei dem Thema nicht aus und interessiere sich auch nicht dafür, sagen manche hier zum KURIER. Andere verbinden die EU erstmal mit etwas Negativem: Mit dem Euro sei alles teurer geworden, „unseren“ Bauern werde mit den vielen Vorgaben die Arbeit erschwert.
Ein junger Mann erwähnt als erstes eine EU-Richtlinie, wegen der Verschlüsse von Plastikflaschen sich nicht mehr wie früher abschrauben lassen, sondern an der Flasche hängen bleiben. Das sei nervig und er wisse nicht, wofür das gut sein solle - diesen Eindruck habe er bei EU-Vorschriften öfter.
Reisefreiheit, Binnenmarkt, Arbeitsrecht
Erst ein paar Minuten später fällt ihm die Reisefreiheit ein, die ihm beim Urlaubmachen vieles erleichtert. Laut Expertin Helgard Fröhlich vom Internationalen Zentrum für europäische Bildung (CIFE) mit Sitz in Berlin ist das ein Punkt, bei dem EU-Bürger die Union verstärkt positiv wahrnehmen: „Man braucht kein Visum, hat Roaming, kann teilweise mit der gleichen Währung zahlen.“ Auch im Zuge von Schüler- und Studentenaustäuschen würden viele die EU spüren, zum Beispiel über das Programm Erasmus+.
Der europäische Binnenmarkt oder auch die arbeitsrechtlichen EU-Mindeststandards wären laut Fröhlich zwar ebenfalls gute Beispiele dafür, wie die Union sich auf unseren Alltag auswirken - beim Einkaufen oder im Job. Wahrgenommen würde das aber nur noch bedingt: „Manches ist selbstverständlich geworden, vieles ist kompliziert.“ Unser Leben werde schon mehr von EU-Regeln bestimmt, als viele Menschen wahrnehmen.
Verärgerung und Unwissen über die EU sind natürlich keine Landphänomene. Antworten wie in Wolfsegg hört man genauso in der Stadt. Und es gibt zahlreiche Beispiele für österreichische Gemeinden, die bereits hohe Förderungen aus Brüssel erhalten haben, eine Reihe strukturschwacher Orte im Burgenland etwa.
Wofür erhalten Gemeinden Geld aus Brüssel?
Doch während man mit einer einfachen Internetrecherche schnell herausfinden kann, wofür EU-Gelder nach Wien oder Graz fließen, gestaltet sich das bei Wolfsegg schwieriger. Auch die 2018 vom EU-Parlament extra dafür ins Leben gerufene Website „Das tut die EU für mich“ hilft nur bedingt weiter. Zwar gibt es Einträge über Oberösterreich sowie einige seiner Gemeinden, doch das kleine Wolfsegg ist nicht zu finden.
Einen sogenannten Europagemeinderat als lokalen Ansprechpartner für EU-Fragen - von ihnen gibt es mittlerweile über 1.600 in Österreich - hat der Ort ebenfalls nicht.
Bei einem Besuch im Gemeindeamt erklärt Bürgermeisterin Barbara Schwarz (ÖVP), dass die meisten Förderungen in Wolfsegg über „LEADER“ hereinkommen - ein EU-Programm zur Stärkung des ländlichen Raums. Vereine und Unternehmer reichen hierfür Ideen ein. Entsprechen die Projekte den Kriterien und werden sie vom zuständigen Gremium ausgewählt, können sie mit bis zu 80 Prozent der Kosten gefördert werden.
So wurde im Vorfeld der 2023 in Wolfsegg abgehaltenen Landesgartenschau ein Gemeindeentwicklungsprojekt gefördert, mit dem der Ort auf sein Potenzial analysiert und somit auf das Event vorbereitet wurde. Meist handle es sich um kleinere Projekte - etwa eine Videowand für das Bergbaumuseum oder ein digitales Programm für interaktive Ortsspaziergänge.
Der Prozess sei jedoch sehr bürokratisch und könne auch abschrecken, so die Bürgermeisterin. Und: Das Geld fließe immer erst am Ende.
Der Frust der Landwirte
Mit viel Bürokratie für Gelder aus Brüssel muss sich noch jemand im Ort besonders herumschlagen: die etwa 15 Bauernfamilien - vom Geflügelbetrieb über den Milch- bis zum reinen Ackerbauern ist alles vertreten.
Halten die Landwirte die notwendigen Voraussetzungen ein, bekommen sie im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) - einer der wichtigsten EU-Politikbereiche - für sie oft überlebenswichtige Direktzahlungen. Hier gilt: Je mehr Hektar, desto höher der Betrag. Darüber hinaus gibt es zusätzliche Zahlungen für jene, die noch strengere Kriterien erfüllen, Biobauern zum Beispiel.
„Die Anträge und die Dokumentation sind für viele lästig und brauchen Zeit“, sagt Siegfried Grander, Obmann der Wolfsegger Ortsbauernschaft. Er führt mit seiner Frau selbst einen kleinen Biobetrieb mit Ziegen und Kühen, hauptberuflich berät er bei der Landwirtschaftskammer andere Bauernbetriebe - unter anderem beim Ausfüllen der komplizierten Förderansuchen.
„Sie säen nicht, sie ernten nicht - aber sie wissen alles besser"
Grander kann nachvollziehen, warum so viele Bauern zuletzt europaweit gegen die EU-Politik auf die Straßen gegangen sind: „Sie fühlen sich eingeschränkt und nicht wertgeschätzt. Und vieles, was da auf den Traktoren gestanden ist, hat auch unseren Landwirten aus der Seele gesprochen.“ Zum Beispiel? „Sie säen nicht, sie ernten nicht - aber sie wissen alles besser.“
Besonders bei den Umweltauflagen, von denen nun als Reaktion auf die Demos einige gelockert wurden, fehle es manchmal an nachvollziehbaren Begründungen. Den meisten Bauern hier seien die Vorteile aber genauso bewusst wie die Vorschriften - noch.
Auswirkungen für jeden anders
Wie die Union sich auf das Leben der Wolfsegger, aber auch das aller anderen EU-Bürger auswirkt, hängt letztlich von deren individuellen Bedürfnissen und Vorlieben ab: Während Musikbegeisterte sich etwa über EU-finanzierte Festivals freuen, profitieren Fitnessbegeisterte von europäischen Sportförderungen. Und für Menschen auf Jobsuche gibt es andere Unterstützungsprogramme als für Studierende.
Expertin Fröhlich zufolge ist die Vision Schumans, die EU solle Frieden und Wohlstand bringen, heute wieder hochaktuell. Angesichts der Kriege in Gaza und der Ukraine sei die Sorge vor (ausgeweiteten) Konflikten als „Alltagsproblem“ zurückgekehrt. Der Wohlstand ist mit den teurer werdenden Lebensmitteln, hohen Energiepreisen und steigenden Mieten für zahlreiche Europäer ebenfalls keineswegs selbstverständlich.
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