EU-Kommissionschefin: "Normales Verhältnis zu Putins Russland nicht vorstellbar"

Zwei Mal seit Kriegsbeginn reiste EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nach Kiew. Ihre Botschaft an Präsident Selenskij: „Wir halten den Druck auf den Kreml aufrecht“
Ursula von der Leyen über die ungebrochene Unterstützung für die Ukraine, die Kosten der EU-Sanktionen und warme Wohnungen im Winter.

Gasknappheit, Inflation, Putins Wirtschaftskrieg gegen Europa – den lauter werdenden Forderungen, bei den EU-Sanktionen gegen Russland nachzulassen, kontert die Präsidentin der EU-Kommission: „So lange, wie es nötig ist, stehen wir entschlossen an der Seite der Ukraine.“ Ursula von der Leyen im Interview.

KURIER: Ein Drittel der Österreicher gibt bei Umfragen an, dass die EU-Sanktionen gegen Russland falsch seien. Dass sie uns mehr schaden als Russland. Hat die EU-Kommission, wie es ihr Wirtschaftskammer-Chef Mahrer vorwirft, „bei den Sanktionen nicht zu Ende gedacht“?

Ursula von der Leyen: Mit unseren weitreichenden EU-Sanktionen halten wir den Druck auf den Kreml aufrecht. Erst diese Woche haben wir neue Maßnahmen beschlossen und die bestehenden bis Januar verlängert. All das geschieht in enger Abstimmung mit unseren internationalen Partnern. Und alle 27 EU-Staaten haben ja jeden einzelnen Schritt einstimmig beschlossen – also auch Österreich. Diese klare Einheit ist sehr wichtig! Die Sanktionen schwächen die russische Wirtschaft nachhaltig und erschweren Putin die Finanzierung seines barbarischen Krieges.

Es war immer klar, dass sie auch für uns mit gewissen Kosten verbunden sind. Aber wir tun alles, um diese so gering wie möglich zu halten. Viele von uns haben Jahrzehnte lang in dem Selbstverständnis gelebt, dass es in Europa Frieden und Demokratie zum Nulltarif gibt. Dieser Illusion hat Putin am 24. Februar ein jähes Ende gesetzt. Für uns alle ist klar: Moskau muss für seine Aggression auch weiterhin einen hohen Preis zahlen.

Die EU-Kommission hat einen Notfallplan präsentiert, damit Europa auch bei einem russischen Gaslieferstopp über den Winter kommt. Wird es gelingen, dass keine Wohnung kalt bleibt?

Niemand soll in diesem Winter in Europa frieren. Genau deswegen bereiten wir uns weiter auf einen vollständigen Stopp der Gaslieferungen aus Russland vor. Wir müssen Gas sparen, um die Speicher zu füllen. Daher appellieren wir an die Mitgliedstaaten, den Gasverbrauch zwischen 1. August und 31. März um 15 Prozent zu senken. Das entspricht 45 Milliarden Kubikmetern Gas. Damit knüpfen wir ein Sicherheitsnetz für alle Mitgliedstaaten. Denn mit einer Reduzierung um 15 Prozent können wir alle es selbst bei einer vollständigen Unterbrechung russischer Gaslieferungen sicher durch den Winter schaffen.

Wenn es Gas gibt, Energie aber so teuer ist, dass es viele Menschen schlicht nicht mehr zahlen können, fürchten Sie da nicht um den sozialen Frieden in Europa?

Die Folgen der hohen Energiepreise bereiten uns Sorgen und natürlich beobachten wir mögliche Schwierigkeiten für einkommensschwächere Haushalte genau. Deswegen haben wir bereits im Oktober – also lange vor Putins Krieg – ein ganzes Tableau von Ideen vorgestellt, mit denen Mitgliedstaaten die Bürgerinnen und Bürger unterstützen können.

Und die allermeisten machen davon auch Gebrauch: Einnahmen aus dem Emissionshandel können zum Beispiel dafür verwendet werden, Menschen mit zu niedrigen Einkommen bei der Begleichung ihrer Energierechnung zu unterstützen. Zudem sind Steuerbefreiungen möglich.

Auch der EU-Aufbauplan NextGenerationEU hilft: In Österreich sind 50 Millionen Euro vorgesehen, um einkommensschwachen Haushalten die thermische Sanierung oder den Heizkesseltausch zu ermöglichen. Und unser European Green Deal zielt ja genau darauf, dass alle Europäerinnen und Europäer vom Umstieg in eine klimafreundliche Zukunft sogar profitieren.

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