EU macht Ukraine und Moldau zu Beitrittskandidaten

Albaniens Premier Edi Rama (l.), EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
Seit Monaten drängt die Ukraine täglich darauf, den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu bekommen. Donnerstagabend war es soweit: Die EU und Moldau sind offiziell in den Kreis der Beitrittskandidaten aufgenommen.
Ein Übermaß an diplomatischer Zurückhaltung kann man Albaniens Premier Edi Rama nicht vorwerfen: „Eine Schande“ sei das, polterte der albanische Regierungschef am Donnerstag und zog in Brüssel beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in seiner unverblümt offenen Art vom Leder: „Ein NATO-Land – Bulgarien – nimmt zwei andere NATO-Länder – Albanien und Nordmazedonien – inmitten eines heißen Kriegs in Europa in Geiselhaft“, sagte Rama. „Und die anderen sehen dem in ihrer Impotenz zu.“
Mit seinem Frust war der Premier des Balkanstaates gestern nicht allein: Die Ukraine und sogar die kleine Republik Moldau haben gestern beim EU-Gipfel den Status eines EU-Kandidatenlandes erhalten.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat die Vergabe des EU-Kandidatenstatus für sein Land als „historischen Moment“ gewürdigt. „Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU“, schrieb Selenskij auf Twitter.
Doch im Gegensatz dazu sitzen alle sechs Westbalkanstaaten unverändert weiter in verschiedenen Reihen auf den Wartebänken im großen Vorraum zur EU.
Ein EU-Kandidatenstatus ist nur ein symbolischer Schritt – und viele Jahre von einem EU-Beitritt der beiden Ex-Sowjet-Republiken entfernt. Er gilt als Zeichen der Unterstützung Europas für die Ukraine, die sich im Krieg gegen die russische Aggression wehren muss. Auch Moldawien, auf dessen abtrünniger Region Transnistrien russische Soldaten stehen, erhält von der EU symbolischen Beistand.
Doch für die Regierungschefs der sechs Westbalkanstaaten ist das Maß der Empörung jetzt voll: In Brüssel werde mit zweierlei Maß gemessen. Für die seit Jahren mit Brüssel über einen Beitritt verhandelnden Länder Serbien und Montenegro bewegt sich wenig bis nichts.
Nordmazedonien und Albanien erhielten auch gestern wieder kein grünes Licht für den Start von Beitrittsverhandlungen. Für Kosovo gilt nicht einmal Visafreiheit für Reisen in die EU. Und Bosnien wartet seit fünf Jahren vergeblich auf die Anerkennung als Kandidatenland.
„Unvorstellbar“
Ähnlich aussichtslos im Hinblick auf einen EU-Beitritt war die Lage lange Zeit auch für die Ukraine: „Vor ein paar Monaten war es noch unvorstellbar, dass die Ukraine Kandidatenstatus erhalten würde“, erinnert sich ein hoher EU-Diplomat.

Tagungsraum der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel
Die Kandidatenländer
Zusammen mit der Ukraine und Moldawien haben insgesamt sieben Staaten den Status eines EU-Kandidatenlandes: Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro und die Türkei
13,8 Jahre
vom Ansuchen bis zum tatsächlichen EU-Beitritt hat es für Zypern und Malta gedauert. Das sind die zwei EU-Mitgliedstaaten, die bisher für den Beitritt am längsten gebraucht haben
Seit dem Krieg Russlands aber gelten andere Kriterien: Die EU will einen geopolitischen Riesensatz tun – und mit dem Kandidatenstatus für die Ukraine auch Russland einbremsen. Dass dabei weder die Ukraine noch Moldawien die Voraussetzungen erfüllen, die Antragsteller bisher erfüllen mussten, spielt keine Rolle mehr.
Geplant ist überdies die baldige Freigabe von weiteren neun Milliarden Euro an Hilfen für Kiew. Damit soll das Funktionieren des ukrainischen Staates unterstützt werden.
Doch was für die Ukraine gilt, muss auch für alle anderen gelten, forderte Bundeskanzler Karl Nehammer: „Gleiche Regeln für alle, das ist ein Gebot der Fairness und Gerechtigkeit“, mahnte er beim Gipfel und er forderte: Auch Bosnien-Herzegowina solle daher den Kandidatenstatus erhalten, nicht nur die Ukraine. "Bosnien braucht eine Perspektive", sagte Nehammer.
Zum Kandidatenstatus für Bosnien kam es gestern allerdings nicht. Auf Druck Österreichs hin kam dass Thema Bosnien aber immerhin auf die Tagesordnung des Gipfels, stundenlang wurde diskutiert.
Beschlossen wurde, dass Bosnien 14 Bedingungen erfüllen muss, darunter eine Wahlrechtsreform. Danach könne das Land den EU-Kandidatenstatus erhalten, eventuell sogar noch im Laufe dieses Jahres.
„Angesichts der engen Beziehungen zu Österreich ist der EU-Annäherungsprozess für die Länder des Westbalkans in unserem ureigensten Interesse“, sagte Nehammer. Doch für die restlichen Balkanstatten gab es am Gipfel nur vage Absichtserklärungen, den „EU-Erweiterungsprozess auf dem Westbalkan voranzutreiben“.
„Keine Illusionen“
Umso offensiver und lauter war dann das „Ja“ der 27 EU-Stats- und Regierungschefs für die Ukraine. Mit dem Kandidatenstatus wird die Ukraine erhebliche finanzielle Unterstützung von der EU erhalten. Zudem wurde ihr im Kampf gegen Russland weitere wirtschaftliche, militärische, soziale und humanitäre Hilfe versprochen.
Doch was die Führung in Kiew am dringlichsten einfordert – nämlich die Lieferung von noch viel mehr schweren Waffen – war beim Gipfel kein Thema.
„Mehr Hardware statt der politischen Software würde der Ukraine besser helfen“, meinte ein Gipfelbeobachter am Donnerstag mit einer Prise Sarkasmus.
Und auch Albaniens Premier Edi Rama warnte im Abgang: „Die ukrainische Bevölkerung sollte sich keine Illusionen machen.“
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