EU-Klimadeal mit Rechentrick und "Schlupflöchern"

EU-Klimadeal mit Rechentrick und "Schlupflöchern"
Bis 2030 müssen die Treibhausgase in der EU um 55 Prozent sinken. Umweltschützer sagen: das reicht nicht – zudem sehen sie „Schlupflöcher“.

„Dafür hat es sich gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen“, zeigte sich Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel nach 21 Stunden ununterbrochener Verhandlungen Freitag Vormittag ein wenig müde, aber zufrieden: Die EU wird bis 2030 um 55 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen – das war das historische Ergebnis des eine Nacht lang dauernden Ringens beim EU-Gipfel in Brüssel.

Es war eine schwer erkämpfte Wegmarke auf der Route zum ehrgeizigen Klimaziel für Europa: Bis 2050 soll der Kontinent klimaneutral sein – es sollen also nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen als an anderer Stelle wieder gebunden werden.

„Ein großer und wichtiger Schritt“ sei dies, sagte auch Kanzler Sebastian Kurz nach dem Gipfel. Doch er betonte abermals: Ohne massive begleitende Maßnahmen sei die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht zu erhalten.

Die ganze Nacht hindurch hatte vor allem einer blockiert – Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki. Er pochte auf zusätzliche Hilfen für den Umbau der Kohle- und Schwerindustrie-lastigen Wirtschaft im Land. Polens Energie wird zu 80 Prozent aus Kohle gewonnen. Allein bis 2030 würde das Land 68,5 Milliarden Euro brauchen, um auf erneuerbare Energieträger umzusatteln. Letztlich aber wurde Polen beim EU-Gipfel nicht mehr versprochen, als es ohnehin erhalten wird – Zugang zu den Multimilliarden-schweren Förderungen aus den EU-Töpfen.

Polens Premier pokerte

Was Morawiecki, dessen nächtliches Taktieren die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zutiefst geärgert haben soll, letztlich die Zustimmung erleichterte: Nicht jedes EU-Land für sich, sondern alle 27 EU-Staaten gemeinsam sollen das Minus-55-Prozent-Ziel erreichen.

Für Länder wie Österreich, die beim Klimaschutz schon Einiges an Vorarbeit geleistet haben, werde das umso herausfordernder , gibt der Grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz zu bedenken: „Die gesamte österreichische Autoflotte auf Strom umzustellen, ist wesentlich schwieriger als das eine oder andere Kohlekraftwerk zuzusperren und so die Emissionen zu senken.“ Er sei „froh, dass es diese Einigung, dieses Signal für den Klimaschutz, jetzt gibt“, sagte Waitz zum KURIER. Dennoch sieht der steirische EU-Abgeordnete „eingebaute Schlupflöcher“ beim festgelegten Minus-55-Prozent-Ziel.

Netto-Einsparung

So würden etwa Wälder, Moore und Meere als -Speicher in das Klimaziel eingerechnet. Dadurch werde die tatsächliche Senkung der Treibhausgase geringer ausfallen. „Mit diesem Klimadeal wird die Netto-Einsparung also nicht 55 Prozent, sondern höchstens 50 Prozent betragen.“ Zudem wird Gas als „Übergangstechnologie“ gewertet.

Umweltschützer sehen die klimapolitischen Beschlüsse des Gipfels ohnehin als unzureichend an: Um die mögliche Erderhitzung auf 1,5 Grad zu beschränken, müssten in den nächsten zehn Jahre sogar 65 Prozent der Treibhausgase eingespart werden.

Binnen zehn Jahren muss nun der Anteil der erneuerbaren Energien in der Europäischen Union auf 38 bis 40 Prozent hochgeschraubt werden. Dafür müssten nach Berechnungen der EU-Kommission jährlich 350 Milliarden Euro mehr investiert werden als in den vergangenen zehn Jahren.

Was der gewaltige Klimakraftakt für Österreich bedeutet, lässt sich noch nicht konkret sagen. Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen im April noch einmal beraten. Die Kommission will erst im Juni ein Gesetzespaket vorlegen, wie das Ganze umgesetzt wird. Zur Debatte stehen dabei u. a. strengere Energieanforderungen an Gebäude und schärfere -Grenzwerte für Autos.

Der Präsident der europäischen Wirtschaftskammer „Eurochambres“, Christoph Leitl, nennt das beim Gipfel beschlossene 55-Prozent--Reduktionsziel bis 2030 hingegen „unrealistisch“ und „Wunschdenken“. Europa setze sich „zu hohe Ziele“.

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