Tag der Wahrheit kommt erst

Tag der Wahrheit kommt erst
Österreich soll künftig eine Milliarde in die EU zahlen – und sich mehr denn je wieder herausholen.

Wenn alle leiden, jammern und unzufrieden sind, dann stimmt das Ergebnis.“ Dieser Satz kann nur aus dem Mund des Chefpragmatikers der EU, Ratspräsident Herman Van Rompuy, kommen. Als Großmeister des Kompromisses zog er die Fäden bei den Budgetverhandlungen. Das Ergebnis: Ein Ausgleich zwischen starken Nettozahlern und schwachen Empfängern.

Österreich als wirtschaftlich starkes Land überweist künftig mehr Geld nach Brüssel, haben Experten vorläufig berechnet (siehe Grafik).

Das muss nicht so bleiben, die Nettozahlungen könnten bei starken Rückflüssen kleiner werden, so wie es 2007-2014 der Fall ist. Unter dem damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wurden 0,33 Prozent der Wirtschaftsleistung verhandelt, im Schnitt macht der Nettotransfer von Wien nach Brüssel jetzt 0,24 Prozent aus.

Applaus klingt anders

Wie in anderen Ländern prangert die Opposition auch in Österreich das Gipfel-Ergebnis an. Das BZÖ kündigt sogar einen Misstrauensantrag gegen den Kanzler an.

Enttäuscht ist auch die EU-Kommission, die ein Budget von mehr als 1000 Milliarden Euro wollte. 960 Milliarden Euro an Verpflichtungen sind es geworden, an Zahlungen sind es 908 Milliarden. Das Budget mit zwei Kategorien wird von vielen kritisiert, nicht nur vom Europäischen Parlament. „Das ist ein Schwindel, jeder Regierungschef kann die Summe, die ihm gerade passt, den Wählern verkaufen“, rügt der Chef der Liberalen im Europäischen Parlament, Guy Verhofstadt.

Briten-Premier David Cameron und dessen stärkster Verbündeter bei den Verhandlungen, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, werben natürlich mit der niedrigeren Summe für ihr Verhandlungsgeschick. Die bittere Wahrheit für Cameron ist aber auch, dass er sein selbstgestecktes Ziel, eine Acht vor dem Betrag stehen zu haben, nicht erreichte. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Van Rompuy und Frankreich Staatspräsident François Hollande redeten stundenlang auf ihn ein, dem Kompromiss zuzustimmen. „Cameron wurde in die Zange genommen, bis er nicht mehr konnte“, erzählt ein Gipfelteilnehmer.

Bier und Schnaps

Während der Tory-Chef „bearbeitet“ wurde, verbrachten andere Gipfelteilnehmer die Zeit mit bilateralen Gesprächen oder saßen in den karg eingerichteten Delegationsbüros herum, einer schlief auf einer Yoga-Matte ein. Der einzige Luxus waren Espresso-Maschinen und Kühlschränke voll mit Mineralwasser. Kaffee war das Aufputschmittel. Dass manche auch etwas Alkohol eingelagert hatten, wurde von einem Diplomat eines kleineren Mitgliedslandes (nicht Österreich) gar nicht bestritten. „Wissen Sie, wenn nichts mehr geht, helfen ein Bier und ein Schnaps weiter.“

Streng verboten ist in den drei Stockwerken des Ratsgebäudes, wo die Gipfeltreffen regelmäßig stattfinden, das Rauchen. Jene, die es ohne Zigaretten nicht aushalten, flüchten auf eine kleine Terrasse. Ein Kettenraucher zum KURIER: „Man darf das Herumstehen im Freien nicht unterschätzen. Das macht einen klaren Kopf.“

In Zeiten von Krise, Unsicherheit und Misstrauen gegenüber der Politik, ist Bundeskanzler Faymann mit dem Gipfel-Ergebnis zufrieden.

KURIER: Herr Bundeskanzler, wer gewinnt, wer verliert?*
Werner Faymann: Jene, die sich für mehr Geld für die Ländliche Entwicklung und für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit einsetzen, können sich im Ergebnis wiedererkennen. Beim erzielten Kompromiss hat niemand das Gesicht verloren.

Erwarten Sie Widerstände vom Koalitionspartner?
Wir waren im Vorfeld sehr gut abgestimmt. Ratspräsident Van Rompuy hat mit dem Vizekanzler und mit mir gesprochen und festgestellt, wie gut unsere Argumente waren. Ich wichtigen Dingen für Österreich muss das Gemeinsame sichtbar sein.

Es gibt Kritik an der Budgeterstellung. Was muss sich ändern?
Man muss das System von Verpflichtungen und Zahlungen zusammenführen. Die EU darf keine Schulden machen. Die EU braucht Eigenmittel, die Finanztransaktionssteuer wäre dafür geeignet. Sie müsste von allen Länder eingeführt sein. Die Rabatte gehören ab 2020 abgeschafft, sie sind ein Relikt einer alten Zeit. Die EU muss den Mut haben, etwas Unzeitgemäßes zu überwinden.

Kann das EU-Parlament noch vom Veto abgebracht werden?
Eine Zustimmung des Parlaments ist möglich. Ich bin froh, dass Präsident Schulz beharrlich aufgezeigt hat, die EU braucht für Zukunftsaufgaben auch bestimmte Summen. Jetzt geht es um eine respektvolle Debatte mit dem Parlament. Wir sind noch nicht am Ziel. Das Parlament hat die Flexibilität bei Ausgaben durchgesetzt.

Spindelegger: "EU muss Macht besser ausspielen"


„Der Kompromiss ist akzeptabel“, sagt Vizekanzler Michael Spindelegger, weil Österreich seine Punkte – ländliche Entwicklung und Rabatt – durchgebracht habe.

KURIER: Hätte Bundeskanzler Faymann aus Ihrer Sicht besser verhandeln sollen?
Michael Spindelegger: Der Wermutstropfen ist der höhere Nettobeitrag. Österreich wird mehr zahlen müssen als bisher. Das ist sicher ein Nachteil.

Wie war die Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzler?
W
ir waren im ständigen Kontakt und haben in der Nacht mehrmals telefoniert, um die österreichische Position abzustimmen.

Ist die Erstellung des EU-Budgets noch zeitgemäß?
Es gibt keinen anderen Weg unter den 27 Mitgliedern. Der Vorteil ist, dass für sieben Jahre die Eckpunkte definiert worden sind. Von der Höhe her ist das Sparbudget richtig. Die EU-Kommission kann uns nicht mahnend Sparprogramme vorschreiben und selbst keinen Sparhaushalt aufstellen.

Braucht die EU keine Reform für einen modernen Haushalt?
Die Budgeterstellung ist nicht so wichtig für den Bürger. Bei den Grundstrukturen der EU muss sich etwas ändern. Die EU braucht einen Fokus auf ihre Außenrolle und muss im Wettbewerb mit anderen stärker werden. Die EU muss die gemeinsame Macht besser ausspielen.

Der Vizepräsident des EU-Parlaments, ÖVP-Abgeordneter Karas, hat mit einem Veto gedroht. Gefährlich?
Ratspräsident Van Rompuy und Kommissionspräsident Barroso müssen jetzt mit dem Parlament verhandeln. Bei der Budgethöhe gibt es wenig Spielraum, bei einzelnen Posten schon.

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