Die Zahlen der europäischen Grenzbehörde Frontex belegen, dass seit der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar die meisten geflüchteten Russen nach oder über Finnland ausgereist sind (39.000). Allerdings hat die finnische Regierung im Rahmen der Sanktionen des Westens den Zugverkehr seit einer Woche eingestellt. Estland nimmt demnach mit mindestens 37.000 Russen die zweite Position ein, nach Lettland wollten nur 6.000.
Die hinzukommenden Russen stellen die Gesellschaft des kleinen baltischen Staates vor große Herausforderungen. Denn der russischsprachige Teil der Bevölkerung wird immer noch als Parallelgesellschaft empfunden. Vor allem ältere Menschen dieser Minderheit sind von der Sichtweise des Kremls beeinflusst. Dass die estnische Regierung einen Tag nach der Invasion die russischen Staatssender abgestellt hat, hat viele verbittert.
Neid und Argwohn
Doch es gibt noch ein Problem: Die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine sorgt unter der russischen Minderheit auch für Neid und Argwohn. Dabei sind derzeit 50 Prozent der Ukrainer, welche per Bus über die Grenze kommen, solche aus russisch besetzten Territorien. Darunter auch Bewohner von Mariupol, der Hafenstadt, die durch russischen Beschuss fast vollständig zerstört wurde und deren Bewohner teils nach Russland deportiert wurden.
Als Test der Haltung der russischsprachigen Bevölkerung gilt in Estland der 9. Mai, der in Russland als Jubiläumstag des Sieges über Hitler-Deutschland gefeiert wird. Während in Lettland diese Feierlichkeiten verboten sind, wird in Estland noch über die Modalitäten diskutiert – dabei könnten russische Fahnen und der Buchstabe „Z“, welcher für die russische Invasion in der Ukraine steht, für Unruhen sorgen. In Lettland ist nun dieser Buchstabe verboten – und gleichgesetzt mit dem Hakenkreuz.
Kommentare