Wie revolutionär die neue deutsche Bundesregierung wird, werden die Spitzen von SPD, Grünen und FDP in den nächsten Wochen aushandeln. Dazu müssen ihre Parteigremien noch dem zustimmen, was die Unterhändler bis in die Morgenstunden erarbeitet haben: Auf 12 Seiten haben sie sämtliche Vorhaben niedergeschrieben. Dabei wird klar, wer wo Abstriche machen musste, auch wenn die Spitzen der Partei bemüht sind, diesen Eindruck zu verwischen. Es gehe nicht um Sieger oder Verlierer oder den kleinsten gemeinsamen Nenner, war am Freitag zu hören. Bei drei unterschiedlichen Parteien sei es wichtig, „dass jeder auch mal was gibt“, sagte Grünen-Chef Annalena Baerbock. Und so verzichten ihre Partei und die SPD auf das Tempolimit. Die FDP gesteht den anderen dafür eine Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro zu – eine zentrale Forderung der SPD. Statt der bisherigen Grundsicherung Hartz IV soll ein Bürgergeld kommen.
Genauso wie das grüne Prestigeprojekt „Kindergrundsicherung“. Worauf sich die Grünen vielleicht noch freuen können: Alle geeigneten Dachflächen sollen für Solarenergie genutzt werden; für gewerbliche Neubauten soll dies verpflichtend kommen und bei privaten Neubauten die Regel werden. Der Ausstieg aus der Kohle soll bis 2030 gelingen, wobei das Wort „idealerweise“ angeführt wird. Vom Verhandlungstisch ist hingegen das „Mietenmoratorium“ – eine Art Mietdeckel, den die FDP ablehnte. Dafür sollen jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden.
Ebenfalls wichtig für die Liberalen: Es wird „finanzielle Leitplanken“ geben. Im Sondierungspapier ist das Bekenntnis zur Schuldenbremse festgeschrieben. Man werde „im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur“, heißt es. Die von SPD und Grünen ursprünglich gewünschten Steuererhöhungen, die solche Vorhaben finanzieren könnten, kommen nicht.
Bleibt also abzuwarten, wie die Ampel-Koalitionäre ihre Zukunfts-Projekte finanziell stemmen wollen. Zwar sollen etwa klimaschädliche oder andere verzichtbare Subventionen gestrichen werden, doch dies wird nicht ausreichen, sagte etwa Jens Südekum vom Institut für Wettbewerbsökonomie Düsseldorf zu Reuters. Die Flexibilität der Schuldenbremse wird die neue Regierung noch nützen müssen, so der Ökonom.
Wie das funktionieren kann, wird am Koalitionstisch zu verhandeln sein. Geht es im Stil der Sondierungen weiter, der von allen als „vertrauensvoll“, „diskret“, „konstruktiv“ gelobt wird, dürfte das nicht zu schwierig werden. Abgesehen von den inhaltlichen Vereinbarungen liefern die drei Parteien den Eindruck, dass sie noch einen anderen Pakt geschlossen haben: 2017 soll sich nicht wiederholen. Damals scheiterten die Verhandlungen zwischen Union, Grüne und FDP. Und Liberalen-Chef Lindner, der sich von der CDU übergangen fühlte, konnte es sich nicht verkneifen, von einer „Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands“ zu schwärmen.
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