Die beiden Zagreberinnen hatten Dienstagmittag bei ihrem Telefonat auch über das Erdbeben vom Vortag gesprochen und sich die Frage gestellt, wann sie 2020 endlich abhaken können. In diesem Moment begann die eine zu schreien, und die andere sah, wie sich ihr Haus bewegte. Ein neuerliches Erdbeben brach ihr Gespräch jäh ab.
In der Kleinstadt Petrinja, 45 Kilometer südöstlich von Zagreb und nur 235 Kilometer von Graz entfernt, brachen zeitgleich Häuser wie Kartons zusammen. Ein örtliches Krankenhaus wurde zerstört, die Stromversorgung und Netze von Mobilfunkanbietern gekappt, bis zum Abend zumindest sieben Tote geborgen, unzählige Menschen verletzt und nach Zagreb transportiert, Existenzen finanziell zerstört.
Bilder wie im Krieg
Das Erdbeben der Stärke 6,2 auf der Richterskala war in der Serie von Beben, die Kroatien seit Mitte März dieses Jahres zittern ließ, das bisher stärkste. Es war auch in allen Nachbarländern spürbar.
Die ersten Agenturbilder aus Petrinja erinnerten ältere Semester schmerzlich an den Krieg nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien in den 1990er-Jahren.
Auch in der Altstadt von Zagreb, die in diesem Jahr schon mehrfach durch Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen wurde, stürzte erneut Mauerwerk auf die Straße. Und so wie schon im Frühjahr rannten in der 800.000-Einwohner-Metropole überall Menschen ins Freie. Der Tenor der Leute: „Zu Hause sind wir nicht mehr sicher, weil das Haus jederzeit einstürzen kann, und auf der Straße dürfen wir uns aufgrund des Corona-Lockdowns eigentlich auch nicht aufhalten.“
Solche Klagen hörte man in Zagreb auch im Frühjahr, doch jetzt kommt die Erschöpfung erschwerend hinzu: „Wir sind jetzt schon seit Monaten in einem psychischen Ausnahmezustand“, berichtet eine Zagreber Naturwissenschafterin unmittelbar nach der Reparatur des Telefonnetzes dem KURIER. „Wir sind mit den Nerven am Ende, wir leben hier zwischen der ständig wiederkehrenden Schockstarre und der bangen Frage, ob unsere Häuser kaputtgehen werden.“
Ihr Nachbar, ein erfolgreicher Geschäftsmann, fragte schon vor Wochen mit dem Blick auf Coronakrise, Erdbebengefahr sowie das Erlebte während des Kriegs in Kroatien bitter: „Was sind wir nur für eine Generation?“
Die Bilder aus Petrinja, die via Social Media binnen weniger Sekunden in Kroatien die Runde machten, schockieren aber auch junge Menschen. Seit Monaten können sie – so wie in Österreich – ihre Ausbildungen maximal online fortsetzen. Viele haben keine Aussicht auf einen Job. Anders als in den Jahren zuvor will zu Silvester im ganzen Land keine rechte Feierstimmung aufkommen.
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