Rettung nach Beben-Katastrophe: Der verzweifelte Wettlauf gegen die Zeit

Rettung nach Beben-Katastrophe: Der verzweifelte Wettlauf gegen die Zeit
Zerstörte Infrastruktur und Minus-Grade erschweren die Hilfe in der Provinz Hatay. Offiziell zählt man mittlerweile über 7.200 Todesopfer – darunter zwei Österreicher.

Der junge Mann auf dem Video weint, zeigt auf die Trümmer eines zerstörten Hauses, unter denen seine Mutter und sein Vater verschüttet sind. "Sie machen Geräusche, aber niemand kommt", schreit er. Er fasst sich an den Kopf, blickt sich verzweifelt nach Rettungskräften um.

72 Stunden, drei Tage – so lange kann ein Mensch in der Regel ohne Wasser überleben. Diese kritische Überlebensgrenze wird in der südtürkischen Provinz Hatay, mit mehr als 870 Todesopfern eine der am stärksten von den verheerenden Erdstößen betroffenen Region, gerade bis auf die letzte Minute ausgereizt.

Langes Warten auf Hilfe

In den sozialen Netzwerken und Medien vor Ort klagen die Bewohner der Region über unzureichende Hilfen und mangelndes Krisenmanagement. So sollen erst 30 Stunden nach dem Erdbeben erste Rettungskräfte in Hatay eingetroffen sein. Zivilisten sollen inzwischen wahllos und mit bloßen Händen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt versucht haben, die Verschütteten unter den Trümmern zu befreien – und dabei die Lage zum Teil verschlimmert haben. Ähnliches berichtet die Österreicherin Mercan Falter, deren Familie vor Ort lebt.

Internationale Hilfsorganisationen bestätigen: Das Beben habe die örtliche Infrastruktur schwer in Mitleidenschaft gezogen, ein Vorankommen sei nur langsam möglich. "Unsere Arbeit wird durch das extreme Wetter und den Schneefall zusätzlich beeinträchtigt", so Sherine Ibrahim, Länderdirektorin von CARE Türkiye. Am Dienstag wurde vor einem drohenden Schneesturm gewarnt.

Rettung nach Beben-Katastrophe: Der verzweifelte Wettlauf gegen die Zeit

Dass jedoch auch die staatlichen Hilfskräfte – die türkische Katastrophenbehörde Afad hat 13.740 Such- und Rettungskräfte ausgeschickt – so lange ausblieben, sorgt für Spekulationen über politisches Kalkül: Hatay gilt als eine der kosmopolitischsten Provinzen der Türkei, die Bevölkerung setzt sich aus arabischen Alawiten und griechischstämmigen Christen, Armeniern, Kurden und Hunderttausenden Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien zusammen – die dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan immer wieder als Feindbilder dienen.

Jenseits der Grenze, in Syrien, wurde ein Neugeborenes aus den Trümmern geborgen. Jeannette El Haji Moussa, die mit der österreichischen Hilfsorganisation Jugend Eine Welt in Aleppo zusammenarbeitet, erzählt: "Es gibt keine Lebensmittel und keinen Strom. Jene Menschen, deren Häuser nicht zerstört wurden, trauen sich in diese nicht mehr zurück. Die Angst vor Nachbeben ist zu groß."

Österreichische Hilfe vor Ort

Mehr als  7.200 Todesopfer – mindestens 5.434 in der betroffenen Region in der Türkei, 1.800 in Syrien – wurden bis Dienstagabend offiziell gefunden, darunter auch eine Österreicherin und ein Österreicher. Eine Vertreterin der Weltgesundheitsorganisation merkte an, bei Erdbeben sei die Zahl der Todesopfer am Ende oft "achtmal höher als die ersten Bilanzen".

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Erdoğan hat eine siebentägige Staatstrauer angeordnet und einen dreimonatigen Notstand ausgerufen. 70 Länder hätten bereits Hilfe angeboten, darunter der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij. Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis hat trotz der grenzpolitischen Spannungen mit der Türkei bereits mit Erdoğan telefoniert und Rettungsmannschaften geschickt; auch Israel, das sich mit Syrien offiziell immer noch im Kriegszustand befindet, hat Medikamente, Decken und Zelte zur Verfügung stellen.

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Auch Österreich ist bereits mit 85 Soldaten der AFDRU-Einheit ("Austrian Forces Disaster Relief Unit") vor Ort vertreten: Am Dienstag hob eine Transportmaschine, befüllt mit Sanitätsfahrzeugen, Zelten, Duschen und Wasserflaschen, aus Schwechat ab. "Wir nehmen die gesamte Verpflegung mit, damit wir in der Türkei zehn Tage völlig autark leben können", so Oberstleutnant Otto Fritz. Nach der Landung sollen die ersten beiden Rettungsteams in den Einsatz geschickt werden, parallel dazu werden die Lager errichtet. Auch beim Bundesheer weiß man, dass die Hilfsaktion in der Türkei ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit ist.

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