Entspannung im Ukraine-Konflikt? Putins doppeldeutige Manöver
Olaf Scholz’ Reise nach Moskau war sinnbildlich für die Situation, in der sich der Westen derzeit befindet. Wladimir Putin hatte dem neuen deutschen Kanzler zwei Optionen für ihr Treffen am Dienstag gegeben: Entweder er lässt sich von russischen Ärzten auf Corona testen – oder er muss, so wie schon Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor ihm, in fünf Metern Distanz am mittlerweile ikonischen weißen Tisch von ihm Platz nehmen.
Dass Scholz sich für Letzteres entschied, und zwar ebenso wie Macron aus Angst vor DNA-Spionage, zeigt, wie wenig Vertrauen der Westen in Russland hat – und auch umgekehrt. Der gemeinsame Auftritt der beiden Politiker war dementsprechend wenig herzlich: Beide betonten, dass man den Dialog in Sachen Ukraine weiter verfolgen werde – im Detail widersprachen sie einander aber geflissentlich. Echte Verhandlungserfolge nimmt Scholz nicht zurück nach Berlin.
Das liegt auch daran, dass dem Kreml gar nicht an Konsens gelegen war, sondern man lieber bewusst doppeldeutige Botschaften ausgesendet hat. Schon vor Scholz’ Ankunft wurde offiziell verkündet, dass ein Teil der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze abgezogen werden soll. Das ist durchaus ungewöhnlich: Truppenbewegungen werden aus taktischen Gründen eigentlich nie kommuniziert. Dementsprechend wenig Vertrauen schenken westliche Experten der Ankündigung: "Die Geschichte lehrt uns, dass solche Ankündigung nicht aufrichtig sind", schreibt etwa Verteidigungsanalyst Konrad Muzyka.
Russland habe schon öfter Abzüge angekündigt, nur um dann noch mehr Truppen Richtung Grenze zu schicken; auch, dass der Umfang des Rückzugs nicht kommuniziert werde, sei ein Warnsignal – derzeit sind mit 130.000 Mann ja etwa 60 Prozent der Bodentruppen nahe der Ukraine, anderswo beginnen russische Manöver ja erst – etwa im Schwarzen Meer.
Gegenteiliges Signal
Scholz wertete den Schritt jedenfalls als erfreuliches Zeichen, setzte aber gleich nach: "Wir hoffen, dass da noch welche folgen."
Putin blieb dazu schmallippig. Weiter holte er bei einem anderen Thema aus: Die Duma hatte nämlich just vor dem Gespräch mit Scholz die Aufforderung an Putin verabschiedet, die abtrünnigen Separatistengebiete in der Ostukraine anzuerkennen – und zwar nicht nur das von den Separatisten kontrollierte, sondern das von ihnen reklamierte Gebiet, das mehr als doppelt so groß ist. Der Schritt, von Beobachtern gern "nukleare Option" genannt, würde nicht nur den Minsker Friedensprozess komplett zunichte machen, auch eine offizielle Stationierung russischer Truppen dort wäre so möglich – das käme einer Totaleskalation gleich.
Putin betonte freilich, dass "die Probleme im Donbass diplomatisch gelöst werden müssten", sagte aber im Nachgang, dass das, was im Donbass gerade stattfände, "eindeutig ein Genozid ist." Dass die Duma ihm die Anerkennung nahegelegt habe, speise sich aus der öffentlichen Meinung in Russland: "Die Russen haben Mitleid mit den Einwohnern dort."
Kein Zufall
Dass Putin just einen Tag vor jenem Datum, für das die US-Geheimdienste die Invasion in der Ukraine prognostiziert haben, derart doppeldeutige Botschaften schickt, sei Absicht, analysiert Milan Nic von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die Taktik solle Putin "mehr Optionen offen halten". Nicht umsonst schrieb die Sprecherin von Außenminister Lawrow kurz nach der Ankündigung des Abzugs auf Facebook: "Der 15. Februar wird als Tag in die Geschichte eingehen, an dem die westliche Propaganda versagt hat. Sie wurde blamiert und zerstört – ohne dass ein einziger Schuss gefallen ist."
Cyber-Angriff
Die Behörden in Kiew teilten am Dienstag mit, dass das Verteidigungsministerium und zwei wichtige staatliche Banken Ziel eines Cyber-Angriffs geworden sind. Sie verwiesen indirekt auf Russland als möglichen Urheber. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Aggressor zu schmutzigen Tricks greift", erklärte die für die Kommunikationsüberwachung zuständige Behörde.
Erst im Jänner waren mehrere Internetseiten der ukrainischen Regierung einer massiven Internet-Attacke ausgesetzt gewesen. Dabei konnte vorübergehend die Webseite des Außenministeriums ebenso nicht aufgerufen werden wie die Seiten des Katastrophenschutzministeriums, des Forschungsministeriums und des Kabinetts. Zudem waren auf der Homepage des Außenministeriums vorübergehend die drohenden Worte "Habt Angst und rechnet mit dem Schlimmsten" in ukrainischer, russischer und polnischer Sprache zu lesen.
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