Eine halbe Million Tote: Die USA im Wettlauf mit dem Virus

Eine halbe Million Tote: Die USA im Wettlauf mit dem Virus
Die Impfkampagne läuft inzwischen recht gut, doch die neuen Virus-Varianten könnten das Land wieder zurückwerfen.

Was setzt sich in den USA zuerst durch: Die Corona-Müdigkeit der Menschen, die massive Impfkampagne oder die ansteckenderen Virus-Varianten? Es ist ein Wettrennen, bei dem es um Leben und Tod geht. Die Zahl der Neuinfektionen in den USA geht deutlich zurück und jeden Tag werden im Schnitt rund 1,7 Millionen Menschen geimpft. Im Kampf zur Eindämmung der Pandemie gibt es daher vorsichtigen Grund zur Hoffnung. Doch wegen der Virus-Varianten könnte es neue Rückschläge geben.

An diesem Montag dürften die USA die traurige Schwelle von einer halben Million Corona-Toten überschreiten. Bis Montag früh (Ortszeit) gab es nach Daten der Universität Johns Hopkins bereits rund 499.000 Todesfälle nach einer Infektion - mehr als in jedem anderen Land der Welt. Hinter der unfassbaren Zahl verbirgt sich das Leid und der Tod unzähliger Omas, Opas, Väter, Mütter, Töchter, Söhne, Freunde und Nachbarn. Millionen Angehörige und Freunde trauern um ihre Lieben, denen sie in ihren letzten Stunden oft nicht nahe sein konnten, von denen sie sich häufig nicht gebührend verabschieden konnten.

"500.000 - das sind fast 70.000 mehr als alle Amerikaner, die im Zweiten Weltkrieg in einem Zeitraum von vier Jahren gestorben sind", sagte US-Präsident Joe Biden. "All die Trauer, all der Kummer, all das Leid", sagte der Demokrat bereits am Freitag. Am Montagabend (Ortszeit; 0.00 Uhr MEZ Dienstag) wollte Biden sich in einer Rede im Weißen Haus zur Zahl der Corona-Opfer äußern, gefolgt von einem Moment der Stille und dem Anzünden von Kerzen. Dabei sollten ihn unter anderem First Lady Jill Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris begleiten.

Die Behörden in den USA, einem Land mit rund 330 Millionen Einwohnern, haben bisher gut 28 Millionen bestätigte Infektionen gemeldet. Täglich kommen im Schnitt knapp 70.000 Neuinfektionen dazu, der niedrigste Wert seit Ende Oktober. Auch die Neuaufnahmen in Krankenhäusern gehen zurück. Doch weiter sterben durchschnittlich pro Tag mehr als 2.000 Menschen nach einer Infektion. Das sind an eineinhalb Tagen mehr Opfer als einst bei den Anschlägen vom 11. September 2001. Einem viel beachteten Modell zufolge soll die Zahl der Corona-Toten bis Ende Mai noch auf fast 600.000 ansteigen.

Wette ging auf

In den USA lief in Bezug auf die Pandemie vieles schief. Zu Beginn leugnete der damalige Präsident Donald Trump die von dem Virus ausgehende Gefahr, dann setzte er sich ohne wissenschaftliche Belege für bestimmte Medikamente als vermeintliche Wundermittel ein. Zudem ließ er bis zuletzt erkennen, dass er das Tragen von Masken eher lästig fand. Viele Experten werfen Trump vor, sich gar nicht mehr um die Eindämmung der Pandemie bemüht zu haben. Er wollte keine Auflagen mehr, keinen Lockdown - er wollte die Wirtschaft wieder ankurbeln. Dafür setzte er auch auf Impfstoffe. Diese Wette ging auf.

"Das ist der einzige Aspekt der Epidemie, bei dem die USA gute Noten kriegen", sagte etwa Microsoft-Gründer Bill Gates, der Co-Vorsitzende der Gates-Stiftung. Dank der Anschubfinanzierung der Regierung habe die Impfentwicklung mit "voller Geschwindigkeit" losgelegt, sagte er am Freitag bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die schwierige Planung, wie die größte Impfkampagne in der Geschichte des Landes durchgeführt werden sollte, überließ Trumps Regierung aber den Bundesstaaten. Chaos und bittere Beschwerden folgten prompt.

Biden macht bei der Impfkampagne seit seinem Amtsantritt vor einem Monat massiv Druck - und das mit Erfolg. Die Regierung hat die wöchentlichen Impfstofflieferungen an die Bundesstaaten deutlich gesteigert und zuverlässiger gemacht. Zudem mobilisierte Biden für große Impfzentren Tausende Soldaten des US-Militärs und Ressourcen der Katastrophenschutzbehörde Fema.

In den USA haben seit Mitte Dezember bereits rund 44 Millionen Menschen mindestens eine Impfung bekommen, was gut 13 Prozent der Bevölkerung entspricht. Knapp 19 Millionen Menschen haben bereits beide nötigen Dosen bekommen, wie Daten der Gesundheitsbehörde CDC zeigen. Zum Vergleich: In Österreich haben bisher 2,2 Prozent der Bevölkerung den vollen Impfstoff erhalten.

Nach etwa einem Jahr Ausnahmezustand macht sich in den USA die Corona-Müdigkeit breit. Alle hoffen auf eine baldige Rückkehr zu einer gewissen Normalität. Die Frage, wann es soweit sein wird, wird Biden und seinem Corona-Experten Anthony Fauci derzeit fast täglich gestellt. "Ich kann Ihnen kein Datum geben, wann diese Krise enden wird", sagte Biden zuletzt. "Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir alles Mögliche tun, damit dieser Tag eher früher als später kommt." Der Präsident zeigte sich zumindest zuversichtlich, dass Weihnachten in diesem Jahr wieder im Kreis der erweiterten Familie gefeiert werden könne. "Aber ich kann Ihnen das nicht versprechen", warnte er.

Die Regierung bekommt von den Herstellern Moderna und Pfizer/Biontech bis Ende Juli rund 600 Millionen Dosen Impfstoff, was für alle Erwachsenen im Land ausreichend wäre. Damit könnte - wenn alles gut geht und sich zudem nur ein geringer Anteil der Amerikaner der Impfung verweigert - im Herbst das Gröbste der Pandemie vorbei sein.

Den USA kommt auch zugute, dass sich dort schon so viele Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben und dadurch zumindest eine begrenzte Immunität haben dürften. Bisher gibt es gut 28 Millionen bestätigte Infektionen, das CDC nimmt aber eine höhere Zahl tatsächlicher Ansteckungen an: rund 83 Millionen. Hinzu kommen die Millionen bereits geimpfter Menschen. Daraus ergibt sich - grob überschlagen - dass fast jeder Dritte, also rund 100 Millionen Menschen, inzwischen zumindest eine begrenzte Immunität haben dürfte. Doch Experten mahnen zu weiterer Wachsamkeit, denn Virus-Varianten wie die zunächst in Südafrika nachgewiesene könnten auch bei vormals Infizierten zu einer neuen Ansteckung führen.

Manche Experten monieren, die USA befänden sich im "Blindflug", weil dort bisher nur sehr wenige Genomanalysen durchgeführt wurden. Diese sind nötig, um die Varianten des Coronavirus eindeutig zuzuordnen. Dem CDC zufolge wurden bisher in 44 Bundesstaaten nur knapp 1.700 Fälle der zunächst aus Großbritannien bekannten und deutlich ansteckenderen Variante (B.1.1.7) nachgewiesen. Das CDC und andere Forscher warnen jedoch, diese verbreite sich schnell und könne bis Ende März in den USA "zur vorherrschenden Variante" des Virus werden.

"Die anhaltende Verbreitung von Varianten, die ansteckender sind, könnte den im letzten Monat erzielten Fortschritt zunichtemachen - wenn wir nicht weiter vorsichtig sind", sagte etwa CDC-Chefin Rochelle Walensky vergangene Woche. Die Zahl der Neuinfektionen müsse weiter nach unten gebracht werden, forderte sie. "Weniger Fälle bedeuten weniger Gelegenheiten für die Varianten, sich zu verbreiten und eine geringere Chance für die Entstehung neuer Varianten."

In keinem anderen Land der Welt hat es in absoluten Zahlen so viele bestätigte Corona-Todesfälle gegeben wie in den USA. Ein direkter Ländervergleich zeigt, dass die Sterblichkeitsrate in mehreren Staaten Europas deutlich höher ist. In den USA starben den Johns-Hopkins-Daten zufolge 152 Menschen pro 100.000 Einwohner. In Belgien liegt dieser Wert bei 192, in Großbritannien bei 181, in Italien bei 158. In Österreich sind 94,3 Menschen pro 100.000 Einwohner gestorben. Experten gehen zudem in vielen Ländern bei Infektionen und Todesfällen von einer hohen Dunkelziffer aus.

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