Anisa war zehn, als die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan einmarschierten. Sie habe in den folgenden Jahren ihre Matura sowie ihr Studium absolvieren können: "In diesen letzten zwei Jahrzehnten haben die afghanischen Frauen Fortschritte gemacht und sich weiterentwickelt wie der Rest der Welt", schreibt sie. "Wir waren naiv zu glauben, dass der Westen uns nicht in Stich lassen würde." Die Welt habe tatenlos zugesehen.
Rascher Vormarsch
Aus Sicht der neuen Taliban-Regierung wurde Afghanistan vor zwölf Monaten von einer "Besatzungsmacht" befreit, das betont die militante Gruppe immer wieder. Der schnelle Vormarsch überraschte damals viele Experten, fast kampflos wurde Kabul letztlich von den Taliban erobert. "Dank Allah haben wir dieses Ziel erreicht, und im Moment genieße ich es, in einem freien Land zu sein", erklärt Bilal Karimi, einer der hochrangigen Regierungssprecher.
Die Taliban scheinen sich selbst aber in vielen Punkten uneinig zu sein – vor allem, was das Thema Bildung angeht. Während die Schulen für viele Mädchen im Land geschlossen bleiben, schicken hochrangige Taliban-Führer ihre Töchter zur Ausbildung ins Ausland, während eine Hungerkrise einen großen Teil der Bevölkerung bedroht: 97 Prozent aller afghanischen Familien haben laut einer Studie der Organisation "Save the Children" Schwierigkeiten, genug Essen für ihre Kinder aufzutreiben.
Vor allem Haushalte, die von Frauen geführt werden, litten unter Armut. Genau in diesen seien Mädchen nun besonders stark von Kinderheirat bedroht. "Kinder werden ihrer Kindheit beraubt", fasst Inger Ashing von "Save the Children" die Situation in dem Land zusammen. "Eltern sehen ihre Kinder sterben." Der wirtschaftliche Kollaps werde durch Sanktionen gegen die Taliban noch verstärkt.
"Vor der Machtübernahme haben diejenigen, die mit den Taliban in Friedensverhandlungen standen, den afghanischen Frauen immer wieder gesagt, dass sich die Taliban geändert hätten", schreibt Anisa. "Sie blieben Monster. Sie planen, wie sehr sie unser Volk unterdrücken sollen, wie oft sie foltern, wie sie unschuldige Menschen töten sollen. Ich denke oft, dass ich eines Tages an der Reihe sein werde – eines Tages werde ich eines der Opfer der Taliban sein."
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