Der Besuch des US-Präsidenten an der "Ostflanke" der NATO sollte nicht nur die Einigkeit des Westens nach innen und gegenüber dem Kreml symbolisieren, sondern auch das angekratzte Image daheim in den USA aufpolieren.
26.03.22, 17:43
aus Warschau von Jens Mattern
Ein Signal der Stärke und der Einigkeit wollte der amerikanische Präsident in Polen, an der "Ostflanke der NATO", setzen: Die NATO-Beistandsverpflichtung nannte er eine "heilige Verpflichtung", der Westen solle verstehen, dass die USA ihre Sicherheitspflichten ernst nehmen.
Doch der Auftritt des 79-Jährigen war mehr als das: Er galt gleichzeitig als innenpolitische Imagekorrektur. Umfragen zufolge sind derzeit 56 Prozent der US-Bürger der Meinung, Biden sei seit der russischen Invasion "nicht forsch genug" gegenüber Moskau aufgetreten.
Deswegen besuchte Biden am Freitag im ostpolnischen Rzeszow die dort stationierten US-Truppen, lobte den Heldenmut der 82. Airbone Division, sprach vom "Wendepunkt der Geschichte" und aß mit den Soldaten in kumpelhafter Manie Pizza aus Pappkartons.
Am Samstag stattete er dem Warschauer Nationalstadion, wo Ukrainer ärztlich und humanitär versorgt werden, einen Besuch ab. Mit seiner schwarzen Baseballkappe gab Biden sich dort betont leutselig, nahm sogleich ein Kleinkind auf den Arm.
Kein normaler Besuch
Eine nationale Gedenkstätte, die bisher von all seinen Vorgängern besucht wurde, ließ er bewusst aus – dies sei keine normale Visite, sondern das Auftreten des amerikanischen Staatsoberhaupts in Zeiten der Krise, stellte er damit klar.
Und war das Programm bei Besuchen von US-Präsidenten oft mehrere Wochen im Voraus geplant, galt bei Biden Improvisation: Der Besuch in Rzeszow wurde offiziell in der Nacht auf Freitag bekannt gegeben, am Samstagmorgen erfuhr die Öffentlichkeit, dass Biden die aus der Ukraine angereisten Verteidigungsminister Oleksji Resnikow und Außenminister Dmytro Kuleba im Präsidentenpalast zu Konsultationen über US-Hilfe trifft.
Putins nächstes Ziel?
"Ich bat Präsident Biden um eine schnellere Lieferung von Waffen, um unsere Sicherheit zu stärken", gab der polnische Staatspräsident Andrzej Duda bekannt. Die amerikanischen Truppen in Polen und den baltischen Ländern sollen aufgestockt werden, an die Weichsel wurden bereits zwei amerikanische Patriot-Batterien transportiert.
Polen übernimmt eine große Verantwortung, die meiner Meinung nach nicht nur Polen betreffen sollte. Es sollte die Verantwortung der ganzen Welt, der ganzen NATO sein.
von US-Präsident Biden
über Polens Solidarität mit Flüchtlingen
Die Nervosität des polnischen Präsidenten scheint verständlich: Zuletzt schlugen russische Raketen in ein militärisches Schulungszentrum der Ukraine, nur 30 Kilometer von der Grenze entfernt, ein; in den russischen Staatssendern wird zumindest verbal regelmäßig gegen Polen geschossen: "Warschau werde in dreißig Sekunden verschwinden", "die baltischen Staaten und Polen werden langsam zu frech", wird dort skandiert.
Vertragen
Lange hatte Biden der nationalkonservativen Führung in Warschau die kalte Schulter gezeigt. Als Grund galt Polens Treue Trump gegenüber sowie die Demokratie-Defizite, die die Regierung Mateusz Morawiecki zu verantworten hat: den Abbau des Rechtsstaats, der scharfe Ton gegenüber sexuellen Minderheiten sowie die Versuche, Medien in ihrer Unabhängigkeit einzuschränken.
Eine gemeinsame Position gibt es seit Beginn von Bidens Amtszeit bei der Ablehnung der Gasleitung Nordstream 2. Nun ist das Ansehen des ehemaligen Sorgenkindes Polen ein gänzlich anderes. Zu verdanken ist das auch der Solidarität Polens mit den ukrainischen Flüchtlingen: Über 2,2 Millionen kamen seit Kriegsbeginn. Die meisten bleiben.
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