Ein Sieg bis zum russischen "Tag des Sieges"?
Die ukrainische Fahne weht wieder am Grenzübergang von Hremyach an der nördlichen Grenze zu Russland. Dort, wo am 24. Februar russische Truppen in die Ukraine eindrangen – im Glauben, Kiew und die Ukraine innerhalb weniger Tage einzunehmen. Mittlerweile gilt der gesamte Norden als frei von russischen Streitkräften – etwa 40.000 zogen sich in den vergangenen Tagen nach Russland beziehungsweise Belarus zurück.
Angriff unwahrscheinlich
Immer wieder kursieren Videos von Verbänden beider Streitkräfte, die sich im Grenzbereich bewegen. Große Truppenbewegungen wurden jedoch keine gemeldet. Ist in naher Zukunft ein neuer russischer Angriff von Belarus aus zu erwarten? "Die Wahrscheinlichkeit dafür halte ich zurzeit für sehr gering", sagt Oberst Markus Reisner zum KURIER.
Es seien nicht genügend russische Kräfte dafür vorhanden. Eine Einschätzung, die auch das "Institute for the Study of War" teilt: "Das ukrainische Militär berichtet, dass Russland plant, Einheiten von der Kiew-Front nach Izjum (Ostukraine, Anm.) zu bringen – doch diese Einheiten werden für gewisse Zeit keine Gefechtsbereitschaft herstellen können", heißt es in der aktuellen Einschätzung der Lage.
Ebenso ist die Wahrscheinlichkeit, dass Belarus aktiv Truppen in die Ukraine schickt, weiterhin sehr niedrig: Von den 45.000 aktiven Soldaten könnten etwa 10.000 an einer Invasion teilnehmen – allerdings mit keiner Kampferfahrung, veraltetem Gerät und geringer Moral. Was allerdings nach wie vor möglich wäre, wäre ein russischer begrenzter Angriff von Brest auf die Westukraine – allerdings nur mit wenigen Truppen und mehr zum "Unruhe stiften", wie Generalstabsoffizier Reisner sagt.
Und nach wie vor herrscht die Gefahr von Raketen- und Luftangriffen auf Städte in der Westukraine – am Donnerstagnachmittag heulten in Städten wie Lutsk einige Male die Alarmsirenen.
Fokus auf Donbass
In Charkiw blieb es nicht beim Alarm: Mehr als 50 Mal schlugen in der Nacht auf Donnerstag Bomben und Raketen in der Stadt ein, laut übereinstimmenden Berichten zieht Russland abermals weitere Truppen um die Stadt zusammen – ein weiterer Angriff dürfte bevorstehen. Generell verdichten sich die Anzeichen auf eine große Offensive im Donbass, wo es in den vergangenen Tagen zu keinen signifikanten Veränderungen an der Front gekommen ist.
Nach wie vor droht der Stadt Sjewjerodonezk die Einkesselung, und nach wie vor versuchen russische Kräfte, den etwa 30.000 ukrainischen Soldaten an der Frontlinie des Donbass den Rückzugsweg abzuschneiden.
Die ukrainische Regierung rief Zivilisten auch am Donnerstag zum Verlassen der besonders umkämpften Gebiete in der Region auf und kündigte Fluchtkorridore an.
Druck steigt
Die Zeit drängt: Folgt man Militärexperten, dann ist der nächste Großangriff nicht mehr weit entfernt. Sie vermuten, dass Russland bis zum 9. Mai militärische Erfolge erzielen will – an diesem Tag ist der russische "Tag des Sieges" (über Nazi-Deutschland), an dem traditionellerweise eine gigantische Militärparade in Moskau stattfindet. Eine Einnahme von Mariupol dürfte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dafür nicht genügen. Nach wie vor finden dort heftige Kämpfe statt – Berichten zufolge halten sich noch immer 3.000 ukrainische Soldaten im Zentrum auf.
Und so steigt der Druck auf den russischen Generalstab und damit auch die Intensität der Bombardements auf ostukrainische Städte.
Kommentare