„Der Wehrwille in der Ukraine ist sehr hoch. Im Jahr 2015 etwa meinten 62 Prozent der Bevölkerung, dass sie für ihr Land kämpfen würden. In Österreich sind es 21 Prozent“, sagt Militärpsychologe Stefan Rakowsky zum KURIER. „Hier herrscht schon allein wegen der permanenten Bedrohung durch Russland eine ganz andere Mentalität.“
Eine Mentalität, die sich am ersten Tag der russischen Invasion in Charkiw nicht direkt bemerkbar machte, wohl aber nach den ersten Bombardements. Und dann sehr drastisch.Im Verbund mit regulären Soldaten schlugen rasch formierte, zivile Einheiten einen russischen Vorstoß zurück, kämpften Männer mittleren Alters zum ersten Mal in ihrem Leben – mit primitivsten Gewehren. „Ein Gewehr zur Hand nehmen, kann man gleich, auch es zu bedienen, ist nicht schwierig.
Problematisch wird es dann beim gefechtstechnischen Verhalten. Vor allem bei den Jungen. Hier haben viele ein verklärtes Bild, kennen Gefechte hauptsächlich von PC-Spielen, wo man vielleicht einmal ausfällt, aber dann gleich wieder weiterkämpfen kann“, sagt Rakowsky.
Doch woher speist sich die Bereitschaft, ohne Ausbildung in den Krieg zu ziehen? „Neben den klassischen Kriegsschauplätzen gibt es auch jenen an der Informationsfront – vor allem auf Sozialen Medien. Ukraines Präsident Wolodimir Selenskij zeigt sich dort in olivgrünen Leibchen, zeigt, dass er immer noch hier ist.“
Um die Fahne sammeln
Ein „Um-die-Fahne-Sammeln“ also, ähnlich wie in den USA nach dem Terror des 11. September 2011, als der damalige US-Präsident George W. Bush massive Zustimmungswerte bekam. „Zugleich präsentieren sich Politiker – auch Frauen – mit Waffen und zum Kampf gegen die russische Armee bereit. Das macht etwas mit einer Bevölkerung“, sagt Rakowsky.
„Wenn noch dazu ein Underdog wie die Ukraine militärische Erfolge erzielt und dies auf Sozialen Medien verdeutlicht wird, wirkt der Informationskrieg stärker. Das betrifft auch die Bevölkerung der westlichen Hemisphäre, die sich meist der Informationen bedient, die sie auf Sozialen Medien findet – und dort dominiert die Sicht der ukrainische Regierung.“
Nach dem Krieg – egal welches Ende er nimmt – werde viel psychologische Hilfe notwendig sein. Ein bis neun Prozent aller Soldaten würden nach einem Krieg an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, „für die Zivilbevölkerung werden die Folgen noch härter sein.
Auch wenn sich die Ukrainer aufgrund der Bedrohungslage besser auf einen Krieg einstellen konnten, deshalb resilienter sein dürften“, sagt Rakowsky.
Krisenfeste Österreicher?
Ob Österreich im Ernstfall auch krisenfest sein könnte? „Das schließe ich nicht aus. Allerdings wäre dafür eine Vorbereitung nötig. Wir lernen in der Schule viel über unsere Grundwerte, allerdings verschweigen wir, dass diese nicht gottgegeben sind. Diese Werte sind zu schützen – das kann auch keine Neutralität, das kann nur eine schlagkräftige Armee“, so Rakowsky. Hier sei auch ein Schwerpunkt auf geistige Landesverteidigung gefragt.
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