Ehen mit Verwandten: Warum Genforschung in den Golfstaaten so notwendig ist
Die reichen Länder des Nahen Ostens investieren Unsummen in die Genforschung. Die Gefahr von Erbkrankheiten ist besonders hoch, weil mehr als die Hälfte der Ehepartner miteinander verwandt sind.
Sie wird im arabischen Raum „Bint ’amm“ genannt: Die Hochzeit zwischen den Kindern zweier Brüder. Genauer: Die Hochzeit eines Cousins mit einer bestimmten Cousine, nämlich der Tochter des Bruders seines Vaters.
Seit Jahrhunderten sind „Bint ’amm“-Ehen in den nach Familienclans strukturierten Monarchien des Nahen Ostens von großer Bedeutung. Weil im Islam die Ehe mit nahen Verwandten ausdrücklich verboten ist, bietet sie die beste Möglichkeit, noch so nah wie möglich innerhalb der Familie zu heiraten. Damit bleibt sowohl das Erbe, als auch das Geldgeschenk an den Vater der Braut (Mahr) familienintern gesichert.
Auch in den meisten westlichen Staaten wie Österreich ist die Cousinenehe bis heute gesetzlich erlaubt – und kam in europäischen Adelshäusern regelmäßig vor. Do war das wohl berühmteste Habsburger-Paar, Kaiser Franz-Josef und seine Frau Elisabeth, genannt „Sisi“, ebenfalls Cousin und Cousine. Allerdings mütterlicherseits.
Doch obwohl kulturell anerkannt, bringen Cousinenehen aus medizinischer Sicht eine Reihe von Problemen mit sich. Besonders deutlich wird das in den wohlhabenden Golfstaaten der arabischen Halbinsel, die in den letzten Jahren so viel in die Genforschung investiert haben wie keine andere Region.
Verpflichtende Gentests
So müssen Verlobte in Qatar, Kuwait und Saudi-Arabien etwa verpflichtende genetische Tests vornehmen lassen, bevor sie heiraten dürfen. Dabei wird ihre DNA auf eine Handvoll relevanter Erbkrankheiten geprüft, die in erster Linie bei Cousinenehen auftreten – etwa die vererbliche Blutarmut (Thalassämie). Paare, bei denen ein hohes Risiko festgestellt wird, können die Hochzeit absagen – oder auf Kosten der Regierung eine künstliche Befruchtung vornehmen lassen. Dabei kann verhindert werden, dass potenziell gefährliches Erbgut auf das Kind übertragen wird.
Vor allem in Qatar, wo nur knapp 250.000 der 2,7 Millionen Menschen Staatsbürger sind, haben die Gesundheitsbehörden so über die letzten Jahre eine unvergleichliche Datenbank angelegt: In dem sogenannten Qatar Genome Programme ist der genetische Code von einem Zehntel der Qatarer detailliert aufgeschlüsselt. Bis 2026 will die Behörde die DNA jedes dritten Staatsbürgers erfassen. Für die Genforschung wäre das ein Datenschatz, der nur mit jenem Islands vergleichbar ist.
Schon seit dem Hochmittelalter, vor knapp 1.000 Jahren sind in Island detaillierte Aufzeichnungen über den Verwandtschaftsgrad unterschiedlicher Familien belegt. Nur einige wenige keltische und skandinavische Siedlerfamilien ließen sich damals auf der Insel im Nordatlantik nieder – heute stammen fast alle rund 360.000 Isländerinnen und Isländer von ihnen ab.
Kein Wunder also, dass die Auswahl der potenziellen Partner für eine derart homogene Bevölkerung zum Problem werden kann. Die Dating-App „Islendinga“ verschafft seit bald zehn Jahren Abhilfe: Mit ihr lässt sich schnell abklären, wie nah zwei Bewohner der Insel miteinander verwandt sind. Und ob es für sie sicher wäre, eine Beziehung einzugehen.
Mit seinen einzigartig dokumentierten Verwandtschaftsverhältnissen ist Island schon seit Jahrzehnten ein Eldorado für Genforscher. Auch weil die Bevölkerung jahrhundertelang weitgehend isoliert blieb – und somit auch ihr Erbgut frei von Einflüssen.
Doch Datenschützer schlagen Alarm: In Qatar fehlen ebenso wie in den meisten Ländern der Region gesetzliche Regelungen, wer auf diese Daten Zugriff bekommt. Einer Weitergabe etwa an die staatlichen Versicherungsanstalten steht so aktuell nichts im Weg. Viele Einwohner versuchen deshalb trotz der Androhung von Strafen die verpflichtenden Gentests zu umgehen, um nicht gesellschaftlich benachteiligt zu werden.
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