Sonntagfrüh, Kabuler Stadtteil Sherpur: Aiman al-Zawahiri tritt auf seinen Balkon. Eine Drohne beobachtet ihn, ein Operator drückt auf einen Knopf. Zwei „Hellfire“-Raketen schießen auf den Terroristen zu, fahren insgesamt zwölf Stahlklingen aus, die den Al-Kaida-Chef zerstückeln. 31 Stunden später verkündet US-Präsident Joe Biden in Western-Manier: „Der Gerechtigkeit ist genüge getan und dieser Terrorist ist nicht mehr“, sagte er und drohte: „Es spielt keine Rolle, wie lange es dauert, wo du dich versteckst, wenn du eine Bedrohung für unsere Bürger bist, werden wir dich finden und auslöschen.“
Eine vollmundige Drohung an den Internationalen Terrorismus. Doch ist sie mit dem Völkerrecht vereinbar? Nein, sagen Experten.
Kein „Bewaffneter Konflikt“
„Einerseits hat man die Souveränität Afghanistans verletzt, es lag keine Zustimmung der betroffenen Regierung vor“, sagt Völkerrechtsexperte Ralph Janik zum KURIER. „Andererseits, weil Al-Kaida und die USA sich nicht in einem „bewaffneten Konflikt„ befunden haben.“ Im Falle eines „bewaffneten Konflikts“ findet das humanitäre Völkerrecht Anwendung, das sogenannte “Recht im Krieg“.
Damit verlieren beteiligte Personen ihren schützenden Status als Zivilisten und werden zu zulässigen militärischen Zielen. Allerdings liegen die Anschläge vom 11. September 2001 mittlerweile fast 21 Jahre zurück, ein Angriffsplan von Al-Kaida auf die USA ist – zumindest offiziell – nicht bekannt. Ein bewaffneter Konflikt liegt also nicht vor.
„Die Tötung von Al-Zawahiri war daher allein auf Grundlage des Rechts auf Leben zu beurteilen – er war kein Kämpfer, die man ja bei einem bewaffneten Konflikt töten darf – und das sieht vor, dass gezielte Tötungen nur erlaubt sind, um eine unmittelbare Bedrohung für das Leben anderer abzuwenden, also beispielsweise bei Geiselnahmen“, sagt Janik, der an der Universität Wien lehrt.
Hätten sich die USA in diesem Fall an das Völkerrecht gehalten, hätte die Sache also anders ablaufen müssen: „Idealerweise sollten die Taliban gesuchte Terroristen entweder selbst im Rahmen eines fairen Verfahrens bestrafen oder an Staaten ausliefern, die ein solches garantieren können und einen Haftbefehl ausgestellt haben“, sagt Janik.
Er verweist jedoch darauf, dass die realpolitisch freilich weltfremd sei. Eine traurige Ironie der Geschichte ist, dass die USA samt Verbündeten vor fast 21 Jahren das Taliban-Regime stürzten, da es Al-Kaida-Terroristen beherbergt hatte.
Die „Eichmann-Methode“
Eine andere Möglichkeit wäre eine Entführung Al-Zawahiris gewesen: „Dann gäbe es zwar immer noch einen fragwürdigen Umgang mit der Souveränität Afghanistans – die sich aufgrund ihrer terroristischen Regierung allerdings relativiert – aber man könnte ihm in den USA den Prozess machen.“
So habe man das bei Adolf Eichmann gemacht: Argentinien wurde in seiner Souveränität verletzt, aber die Zuständigkeit Israels war gegeben und wurde auch nicht weiter problematisiert, sagt Janik.
Keine Konsequenzen
Rechtliche Konsequenzen vonseiten des Internationalen Strafgerichtshof dürfte es für die USA keine geben: Zwar ist Afghanistan Mitglied, aber die Tötung Al-Zawahiris „passt nicht so ganz zu seinem Tätigkeitsbereich. Er konzentriert sich auf massive und weit verbreitete Rechtsverletzungen Unschuldiger“, erklärt der Völkerrechtsexperte.
Allerdings kann Janik die Argumente, wonach eine Gefangennahme Erpressungsversuche, Geiselnahmen, Anschläge auslösen könnte, nachvollziehen: „Auch bei der Tötung von Bin Laden wollten die USA verhindern, einen Märtyrer zu schaffen oder die genannten Folgen auszulösen.“ Man sehe an diesem Fall, wie weit strategische Überlegungen und rechtliche Erfordernisse weit auseinanderdriften können. „Es schadet allerdings dem Recht, wenn es als nicht umsetzbar wahrgenommen wird“, gibt Janik zu bedenken.
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