Viele Österreicher haben das sehr emotionales Gespräch in einer ZiB2-Sendung zwischen Ihnen und dem palästinensischen Botschafter in Österreich, Salah Abdel Shafi, verfolgt. Hätten Sie sich erhofft, dass er die Verbrechen der Hamas klar als Terror verurteilt?
Doron Rabinovici: Ich habe schon gewusst, dass er leider die Hamas nicht als Terrororganisation bezeichnet. Aber so wie der Botschafter es dargestellt hat, dass die Hamas nur eine palästinensische Fraktion von mehreren sei – das hätte ich nicht gedacht.
Und ich habe mir auch nicht erwartet, dass er Einzelheiten dieses Grauens vom 7. Oktober als Fake News bezeichnet. Tatsächlich gab es nach dem 7.Oktober eine Debatte darüber, ob Babys enthauptet worden waren oder nicht. Doch das ist jetzt erwiesen.
Dass der Botschafter nun dies leugnet, folgt einem Muster. Da wird etwa sonst gerne Auschwitz geleugnet und jetzt eben – wie teils beim Botschafter – das jüngste Massaker: Dahinter steht die Mythos, es gäbe eine jüdische Weltverschwörung, die bis in die Medien hineinreicht.
Sein Leugnen hat Sie sichtlich empört…
Der Botschafter ist sich vielleicht dessen gar nicht bewusst, wie sehr er mit dem Weltbild jener verwoben ist, von denen er sehr wohl weiß, dass sie ihn auch umbringen würden, wenn sie könnten. 1981 brannten Islamisten die Klinik seines Vaters,
eines prominenten Mitbegründers der PLO, nieder: Und 2007 wurden die Leute seiner Fatah in Gaza von der Hamas von den Dächern gestoßen.
Warum reagiert Israel so verärgert auf die Forderung der UNO, beim Krieg gegen die Hamas das Völkerrecht und die Verhältnismäßigkeit zu wahren?
Es ist kein Problem, wenn man Israel auf das Völkerrecht hinweist. Aber es ist ein Problem, dass in der UNO im Vorjahr mehr Resolutionen gegen Israel verabschiedet wurden als gegen alle anderen Staaten der Welt zusammen. Das ist merkwürdig. Es nährt Antisemitismus.
Als Sohn zweier Holocaust-Überlebender wurde Doron Rabinovici in Tel Aviv geboren, übersiedelte aber bald mit seiner Familie nach Wien. Seither lebt der studierte Historiker (61) in Österreich und beschäftigt sich in seinen Romanen, Erzählungen, Bühnenstücken und historischen Werken mit Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit – und bezieht lautstark Stellung dagegen.
Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober vermisst er die Solidarität – und geht mit Relativierungen hart ins Gericht
Neuestes Buch "Die Einstellung" handelt von einem Pressefotografen, der einem populistischen Politiker im Wahlkampf folgen soll
Wenn jemand von Verhältnismäßigkeit spricht, wird das gerne falsch ausgelegt. Verhältnismäßig im Hinblick auf den Nationalsozialismus wird auch heute noch angesehen, dass vom Deutschen Reich die bedingungslose Kapitulation verlangt wurde. Mehr als eine Million deutsche Zivilisten sind dabei gestorben!
Verhältnismäßig im Hinblick zur Vernichtungsgefahr darf Israel sich verteidigen. Das heißt nicht, dass alles erlaubt ist. Aber solange die Hamas schießt, darf sich Israel verteidigen. Es wäre gut, Israel bräuchte keine Generäle und keine Helden, aber es ist nicht so.
Welcher Staat würde anders reagieren? Die USA mahnen, Israel solle nicht die Fehler der USA in Afghanistan oder im Irak wiederholen. Aber Afghanistan liegt nicht neben Manhattan, und Irak liegt nicht in Brooklyn. Gaza liegt – gleichsam – in Brooklyn. Und Gaza liegt in Baden oder Sankt Pölten. Und ich glaube nicht, dass Wien zulassen würde, dass aus St. Pölten seit 15 Jahre Raketen abgefeuert werden.
Gäbe es einen anderen Weg für Israel, gegen die Hamas vorzugehen und dabei die Zivilbevölkerung in Gaza besser zu schützen?
Ich bin immer für einen Ausgleich, für einen palästinensischen Staat, für ein Ende der Besatzung. Aber wenn es um eine existenzielle Bedrohung geht, um Vernichtungsgefahr, gibt es eine Erfahrung der Geschichte. Diese Erfahrung lehrt uns, dass wir uns das nicht bieten lassen und dass zurückgeschlagen werden muss. Es ist nicht Vergeltung, es ist nicht Rache. Es geht um das Stoppen der Gefahr.
Ist es antisemitisch, zu sagen, dass die palästinensische Zivilbevölkerung leidet?
Wenn ich sage, dass diese Menschen leiden, ist das nicht Antisemitismus. Das ist Mitgefühl, und es soll nicht diskreditiert werden. Aber der Schuldige muss angesprochen werden. Und der Schuldige ist jene Kraft, die es von Anfang an auf zynische Weise auf Eskalation und Tote angelegt hat.
Die Hamas baut absichtlich ihre Stellungen neben Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Und statt den eigenen Kindern, Frauen die Tunnel zu öffnen und selbst nach draußen zu gehen und zu kämpfen, verweigert die Hamas ihnen den sicheren Platz.
Selbst die USA, die treuesten Verbündeten Israels, drängen auf Waffenpausen…
Man darf nicht vergessen, auch die USA haben globalstrategische Interessen, und sie haben nächstes Jahr Wahlen. Eine Waffenruhe zu haben, liegt im Interesse der Hamas. Aber der Grund wäre nicht, Menschen in Sicherheit zu bringen, sondern nur um sich neu zu gruppieren.
Die Hamas sagt offen, wie man in arabischen Medien nachlesen kann, dass die Waffenruhe nur eine Taktik sei, um Juden umzubringen. Da rühmen sich Führer der Hamas der Massaker des 7. Oktobers, und das sei nur der Auftakt zu weiteren Massenmorden. Immer noch feuert die Hamas ihre Raketen gegen israelische Städte.
Hat der 7. Oktober, der Tag, als die Hamas 1.400 Menschen in Israel ermordete, und Israels militärische Antwort darauf hier den Antisemitismus verstärkt?
Ich spüre einen Unterschied. Eine Vernichtungsdrohung wurde ausgesprochen, die weltweit zwei Gruppen sehr klar verstanden haben - die Juden und Jüdinnen und die verschiedenen dschihadistischen Gruppierungen. Aber es gibt auch viele hier, in der Mitte der Gesellschaft, die finden, dass "die Juden es eh nicht anders verdient haben".
Das hören sie tatsächlich so, in Österreich?
Absolut. Es gibt Leute, die, wenn man ihnen erzählt, dass Ungeborene aus dem Bauch einer Schwangeren rausgeschlitzt und vor den Augen der noch lebenden Mutter ermordet werden; wenn man ihnen erzählt, dass Menschen zerstückelt oder bei lebendigem Leib verbrannt werden; wenn Kinder gefesselt und vor den Augen ihrer Eltern gefoltert werden - es gibt also Leute, die sich dann denken: "Das ist natürlich sehr schrecklich…. aber kein Wunder".
Ist das der alte oder der neue Antisemitismus, also von Migranten, die in ihren Herkunftsländern mit Antisemitismus aufgewachsen sind?
Das ist schwer zu unterscheiden, oft vermischt er sich. Nach 1945 wollte niemand ein Antisemit sein, weil man nicht in den Gasgeruch von Auschwitz geraten möchte. Und so sagt man nicht, dass man Juden hasst, sondern: Die Juden seien auch nicht viel besser als die Täter; die Juden profitierten von ihrer eigenen Vernichtung durch Wiedergutmachungsforderungen; und Israel zeige, dass es auch so sei wie die Nazis.
Das alles ist eine Art von Entschuldungsstrategie. Denn wenn die Opfer keine Guten sind, können die Täter nicht so schlimm gewesen sein. Das rückt das aus den Fugen geraten antisemitische Weltbild wieder zurecht.
Wie antisemitisch ist Österreich?
Prinzipiell ist der Antisemitismus eine allgemeine Kulturtradition und ein Code. Unsere Kulturgeschichte ist durchzogen von diesen Ressentiments. Der Jude hatte dem Abendland Credo und Kredit zu verleihen, er ist in diese Rolle gedrängt worden. Immer wenn das ideelle oder materielle Wertesystem ins Schwanken geriet, wurden deswegen die Juden belangt. Das hat sich verändert - aus dem religiösen, ökonomischen, dann rassistischen Antisemitismus ist heute einer geworden, der seit 1945 tabuisiert wurde, aber seinen Weg findet.
So versteckt war der Antisemitismus doch auch in Österreich nicht – von Jörg Haider bis zu diversen Liederbuchsängern heutzutage…
Die aber alle von sich behaupten, keine Antisemiten zu sein.
Ist der FPÖ zu glauben, wenn sie sich nun so Pro-Israel positioniert?
Die FPÖ hat ein biologistisches Weltbild. Damit glauben sie, zu Bündnispartner der Juden zu werden, wenn sie gegen Muslime sind. Aber wir leben nicht in einer biologistischen Welt. Die jüdischen Menschen sind eben keineswegs Feinde der Muslime.
Diese Kurs verfolgen doch alle extrem rechten Parteien in Europa, plötzlich sind alle philo-semitisch..
Sie haben ihr eigenes Klischee von Israel, aber dieses Bild stimmt nicht mit der Realität überein. Die Art, wie die Rechtsextremen gegen den muslimischen Antisemitismus auftreten, zeigt, dass sie weniger Probleme mit dem Antisemitismus haben als mit den Muslimen. Und dann singen sie wieder von der „7. Million“ und tun so, als wäre das ein harmloses Lied.
Die Position der österreichischen Regierung, die sich bedingungslos hinter Israel stellt, können nicht alle Österreicher nachvollziehen. Rührt diese Position aus dem Schuldbewusstsein nach den Verbrechen der Nazi-Zeit?
Man muss nicht in allen Fragen auf Seiten Israels stehen und es ist auch möglich, für Israelis und Palästinenser zugleich Verständnis zu haben, aber wenn es um die Existenz geht und um diese genozidalen Massaker, braucht es Solidarität.
Da darf es keinen Neutralismus geben. Und dann kommt noch die Vergangenheit hinzu, es gab hier einen Vernichtungswunsch. Viele Menschen haben hierzulande 1945 gemeint, es wäre richtig, die Juden zu vernichten, und sie haben aktiv dazu beigetragen.
Aber heute denken die meisten hier nicht mehr so und das ist die eigentliche gute Nachricht, denn das bedeutet, dass in Zukunft auch im Nahen Osten die Überwindung des Hasses möglich werden könnte, eine friedliche Einigung, eine nahöstliche Union - auch wenn man sich das derzeit gar nicht vorstellen kann.
Im Westjordanland mehren sich die Fälle, wo Siedler Palästinenser überfallen und töten….
Das ist unerträglich, zum Glück ist die israelische Justiz dazu da, um solche religiösen Fundamentalisten vor Gericht zu stellen, und sie kommen auch – wenn verurteilt – ins Gefängnis.
Noch bis zum 7. Oktober habe ich hier in Wien jüdische Demonstrationen gegen die israelische Regierung mitorganisiert. Aber diese Frage stellt sich nicht, wenn Juden Feinden gegenüberstehen, die gar nicht fragen, welche Meinung ein jüdischer Mensch hat. Die Herkunft allein ist – in den Augen der Dschihadisten – sein Vergehen.
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